Wer braucht NGOs? Regulierung von Non-Profit-Leistungserbringern in Afrika südlich der Sahara | Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik - MPISOC
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Wer braucht NGOs? Regulierung von Non-Profit-Leistungserbringern in Afrika südlich der Sahara

Diese Dissertation befasst sich mit den gesetzlichen Verpflichtungen einkommensschwacher, am wenigsten entwickelter Länder Afrikas (low-income least developed countries - LDCs) im Hinblick auf die Regulierung von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die soziale Leistungen erbringen. Afrikanische LDCs sind nicht in der Lange, ausreichende soziale Dienste bereit zu stellen. Vor allem mit ausländischer Unterstützung haben sich NGOs seit den 1980er Jahren über den Kontinent ausgebreitet und schließen Lücken in den sozialen Leistungen, ohne auf die knappen finanziellen Ressourcen der afrikanischen Regierungen zurückgreifen zu müssen. Heute sind NGOs weiterhin führende Sozialleistungserbringer in Afrika. Dort fördern sie die Verwirklichung sozialer Rechte durch die Versorgung und Interessenvertretung der Bürger. In Anbetracht der Tatsache, dass die Sozialindikatoren für die am wenigsten entwickelten Länder Afrikas niedrig bleiben, ist der Beitrag der NGOs für die Menschen, die Hilfe von ihnen benötigen ("Begünstigte"), von entscheidender Bedeutung. Die Arbeit untersucht daher, ob und inwieweit finanziell schwache afrikanische Staaten die Arbeit von NGOs, die den Begünstigten wesentliche Sozialleistungen zur Verfügung stellen, beschränken können, wenn sie selbst die Bereitstellung dieser Sozialleistungen nicht mit eigenen Mitteln sicherstellen können oder wollen.

Manche NGOs, wie etwa in Südafrika, stellen komplementäre Sozialleistungen bereit, wobei sie mit der Regierung partnerschaftlich zusammenarbeiten und von ihr finanzielle Unterstützung erhalten. Da bei einer Partnerschaft die gesetzlichen Pflichten des Staates weitaus offensichtlicher sind, werden jene Fälle nicht in die Untersuchung einbezogen. Stattdessen konzentriert sich die Dissertation auf einen Bereich, der in der Rechtsforschung unterentwickelt ist, nämlich auf die rechtlichen Beziehungen, die entstehen, wenn die Leistungen von NGOs elementare staatliche Dienste ergänzen (Ergänzungsleistungen) oder ersetzen (Zusatzleistungen). Somit liegen drei Beziehungsarten vor: In komplementären Beziehungen fungiert die NGO als Instrument der Regierung, in ergänzenden Beziehungen erweitert die NGO die Funktionen der Regierung, und in Substitutionsbeziehungen übernimmt die NGO Aufgaben der Regierung.

Die Substitutionsbeziehung ist vermutlich das interessanteste zu untersuchende Arrangement, da sie einerseits ein (in afrikanischen LDCs) häufig vorkommendes Phänomen darstellt, andererseits in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang kaum analysiert wird. Bei der Substitutionsbeziehung dienen NGOs einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung als einzige Anbieter von wesentlichen sozialen Gütern und dies ohne finanzielle oder technische Unterstützung der betroffenen Staaten. Dies deutet darauf hin, dass NGOs traditionelle Funktionen des Staates übernehmen. Für die Begünstigten von staatliche Leistungen substituierenden NGOs hängt die Verwirklichung ihrer sozialen Rechte von der Möglichkeit der NGOs ab, Sozialleistungen erbringen zu können. Je nachdem, ob der Staat in der Lage ist, die Dienste der NGOs in eigener Trägerschaft anzubieten, führt die Beschränkung der Tätigkeiten funktional gleichwertiger NGOs zu rechtlichen Problemen zwischen dem Staat und den Begünstigten der Dienste. Dieser Sachverhalt wirft zwei rechtliche Fragen auf: Welche rechtlichen Verpflichtungen, wenn überhaupt, erlegen die sozialen Rechte der Begünstigten den afrikanischen Staaten in Bezug auf die Regulierung von substituierenden NGOs auf? Inwieweit dürfen NGO-Gesetze die Aktivitäten von NGOs einschränken, die anstelle von Staaten soziale Dienste in Afrika  bereitstellen?

Bei der Regulierung ergänzender NGOs dürfte die Art der staatlichen Verpflichtungen etwas anders sein. Das entscheidende Merkmal der ergänzenden NGOs ist, dass ihre Sozialdienste über das Basisniveau, das der Staat zur Verfügung stellen muss, hinausgehen. Dabei ist es jedoch nicht klar, ob der Staat verpflichtet wäre, diese Dienste an erster Stelle zu erbringen. Die beiden rechtlichen Fragen lauten daher wie folgt: Erlegen die sozialen Rechte der Begünstigten afrikanischen LDCs irgendwelche rechtlichen Verpflichtungen hinsichtlich der Regulierung ergänzender NGOs auf? Inwieweit dürfen NGO-Gesetze die Aktivitäten von substituierenden NGOs, die in diesen Staaten soziale Dienstleistungen erbringen, einschränken?

Die Dissertation zieht die internationalen Menschenrechte als normativen Rahmen für ihre Analyse heran. Diese garantieren jedem Menschen soziale Rechte in Bezug auf Gesundheit, Wohnen, Bildung, Ernährung, soziale Sicherheit und einen angemessenen Lebensstandard. Nach dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte müssen die Staaten bis zum Maximum der verfügbaren Ressourcen Maßnahmen zur fortschreitenden Verwirklichung dieser Rechte ergreifen. Obwohl die primäre Verpflichtung zur Verwirklichung der sozialen Rechte den Staaten obliegt, tun sie dies oft nicht durch direkte staatliche Maßnahmen. Vielmehr sind private Akteure in jeder Phase des Realisierungsprozesses beteiligt. NGOs spielen bei der Verwirklichung sozialer Rechte in afrikanischen Ländern aufgrund ihrer weit verbreiteten Präsenz und des geringen Umfangs staatlich geförderter Leistungen eine besonders wichtige Rolle, auch wenn sie nicht in vertragliche oder anderweitig formale Partnerschaften mit dem Staat eintreten.

Um die Regulierung von NGOs in afrikanischen LDCs zu analysieren, untersucht diese Arbeit empirische Belege aus Landesverfassungen sowie legislativen und rechtswissenschaftlichen Quellen. Trotz der Bedeutung von NGOs bei der Bereitstellung sozialer Dienste haben bestimmte afrikanische Staaten, die aus Gründen des politischen Machterhalts politische Einmischung abzuwehren suchen, in erster Linie durch die Verabschiedung oder das Vorschlagen von restriktiven NGO-Gesetzen ein regulatives Umfeld geschaffen, das die Organisationen bei ihrer Arbeit einschränkt. Neben der engen Überwachung und Regulierung der Tätigkeiten von NGOs schaffen viele dieser Gesetze Zugangsbarrieren für neue NGOs durch komplizierte Registrierungserfordernisse. Zudem sind registrierte NGOs stark in ihren Möglichkeiten beschränkt, finanzielle Mittel aus dem Ausland einzusetzen. Andere Staaten untersagen es NGOs, sich für die Förderung der Menschenrechte zu engagieren, und mindestens ein Gesetz verwehrt es NGOs, irgendeine Art von Entwicklungsarbeit zu leisten, ohne eine staatliche Zulassung eingeholt zu haben. Derart restriktive Gesetze wurden insbesondere in Eritrea (2005), Uganda (2006, mit einer geänderten Fassung von 2009), Äthiopien (2009), Sierra Leone (2009) und Ägypten (2014) erlassen. Auch Zimbabwe (2004), Angola (2007), Burundi (2009), Kenia (2013, 2014) und Uganda (2015) haben versucht, ähnliche restriktive Gesetze zu verabschieden.

Sehr restriktive NGO-Gesetze werden voraussichtlich dazu führen, soziale Leistungen für Bürgerinnen und Bürger quantitativ wie qualitativ wesentlich einzuschränken. Gegenwärtig hat Äthiopien eines der restriktivsten NGO-Gesetze in Afrika  erlassen. Seit 2009 dürfen NGOs, die über 10 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland beziehen, keine Menschenrechtsarbeit mehr leisten. Für NGO-Leistungserbringer schwächt diese Einschränkung den menschenrechtlichen Aspekt der Sozialleistungserbringung. Wenn, wie einige Juristen behaupten, die Bereitstellung sozialer Dienste ohne einen menschenrechtsbasierten Ansatz die Realisierung sozialer Rechte von Bürgerinnen und Bürgern weniger unterstützt, könnte es ein rechtliches Problem mit dem äthiopischen NGO-Gesetz geben. Viele Menschen in Äthiopien verlassen sich auf NGOs zur Verwirklichung ihrer sozialen Rechte. Für diese Menschen gefährdet die NGO-Regulierung den Zugang zu Hilfeleistungen und sozialen Leistungen. Der Fall Äthiopiens, der exemplarisch für Länder mit niedrigem Einkommen, die von NGO-Diensten abhängen, steht, veranschaulicht, wie wichtig es ist zu fragen: Wie weit kann ein Staat einen NGO-Sektor einschränken, der für die Verwirklichung der sozialen Rechte in seinem Land von entscheidender Bedeutung ist, wenn dieser Staat die grundlegenden sozialen Bedürfnisse seines Volkes kaum zu erfüllen vermag?

Die meisten Analysten, die die Rechtmäßigkeit dieser NGO-Gesetze bewerten, haben ihre Aufmerksamkeit auf die mögliche Verletzung der Rechte von NGOs gerichtet. Sie konzentrieren sich überwiegend auf die Frage, ob restriktive NGO-Gesetze die Rechte auf Assoziierung und freie Meinungsäußerung verletzen. In Anbetracht der bedeutenden Rolle, die NGOs bei der Bereitstellung von Sozialleistungen in vielen afrikanischen LDCs spielen, sollte jedoch eine gründliche und systematische rechtliche Prüfung der sozialen Verpflichtungen der Staaten erfolgen. Die Dissertation zielt darauf ab, diese Lücke in der Literatur zu schließen, indem sie systematisch untersucht, wie das sozialrechtliche Dreieck , das den Staat, die Begünstigten und die NGOs einschließt, die regulatorischen Verpflichtungen des Staates gegenüber ergänzenden und substituierenden NGOs beeinflussen kann.