In dieser Dissertation wird anhand eines auf sozialen Rechten basierenden Ansatzes untersucht, ob und wie die Gestaltung und Umsetzung des tansanischen Rechts- und Regulierungsrahmens den Zugang zur medizinischen Grundversorgung im Lichte regionaler und internationaler normativer Standards gewährleistet. Die länderspezifische Studie geht von dem Axiom aus, dass der bestehende Rechts- und Regulierungsrahmen für die Gesundheitsversorgung in Tansania den Zugang zur medizinischen Grundversorgung nicht gewährleistet und daher überdacht werden muss. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass Tansania auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene rechtlich verpflichtet ist, den Schutz der Bevölkerung im Bereich der Gesundheitsversorgung, insbesondere der grundlegenden Gesundheitsversorgung, d.h. der primären Gesundheitsversorgung, zu gewährleisten. Unmittelbar nach der (politischen) Unabhängigkeit im Jahr 1961 übernahm die tansanische Regierung den Ansatz der Alma-Ata-Erklärung über die primäre Gesundheitsversorgung von 1978 und erklärte die primäre Gesundheitsversorgung zur Lebensader des gesamten tansanischen Gesundheitssystems sowie zu einem wichtigen Einstiegspunkt in dieses System.
Trotz dieser rechtsverbindlichen Verpflichtung hat Tansania jedoch noch keinen umfassenden Rechts- und Regulierungsrahmen für den Zugang zur medizinischen Grundversorgung in Bezug auf Verfügbarkeit, Bezahlbarkeit, Angemessenheit, Akzeptanz, öffentliches Bewusstsein, Unterbringung und Entschädigung geschaffen. Der bestehende Rahmen für diese Dimensionen des Zugangs zur medizinischen Grundversorgung ist stark fragmentiert und mit grundlegenden rechtlichen Mängeln behaftet: Vor allem entspricht er bei weitem nicht den regionalen und internationalen normativen Standards. Dies erschwert den Zugang zur primären Gesundheitsversorgung in ländlichen und städtischen Gebieten und führt dazu, dass die grundlegende und lebensnotwendige Gesundheitsversorgung weit außerhalb der Reichweite der Wananchi (der einfachen Bevölkerung innerhalb des Territoriums) liegt. Eine der inhärenten rechtlichen Unzulänglichkeiten und Unsicherheiten ist die Art und Weise, wie die tansanische Verfassungsordnung gestaltet ist. Die Verfassung von 1977 enthält unklare Bestimmungen über den sozialen Gesundheitsschutz und nimmt das Recht auf Zugang zu Gesundheitsleistungen nicht in den Grundrechtekatalog auf. Artikel 9(i) und Artikel 11(1) verpflichten die Regierung und ihre Behörden nur vage dazu, ihre nationale Politik auf die Entwicklung des Volkes, die Ausrottung von Krankheiten sowie auf die Verabschiedung geeigneter Bestimmungen für die Verwirklichung der sozialen Wohlfahrt im Falle von Alter, Krankheit oder Behinderung auszurichten. Zudem sind diese verfassungsrechtlichen Bestimmungen in Teil II der Verfassung Tansanias verankert, der die „Grundlegenden Ziele und Richtlinien der Staatspolitik“ festlegt, und gemäß Artikel 7 Absatz 2 in seiner Gesamtheit vor keinem Gericht anfechtbar ist. Infolgedessen hat dieses verfassungsrechtliche Problem zu Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Schutzes und der Durchsetzbarkeit von Gesundheitsrechten in Tansania geführt.
Obwohl die Regierung durch ihre eigenen staatlich kontrollierten Einrichtungen eine wichtige Rolle bei der Regulierung, Finanzierung und Bereitstellung von Dienstleistungen im Gesundheitswesen spielt, sind nur etwa 35 % der tansanischen Bevölkerung in die bestehenden Krankenversicherungssysteme einbezogen. Damit ist die Mehrheit, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht versichert. Das rechtliche Problem Tansanias wird noch dadurch verschärft, dass es – um nur eine Dimension des Zugangs, nämlich die Verfügbarkeit, zu betrachten – keinen soliden Rechtsrahmen für die Beschaffung, Verteilung und Preisgestaltung von Gesundheitsgütern gibt, was dazu geführt hat, dass es in den (öffentlichen) Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung, insbesondere in den Apotheken, Gesundheitszentren und Distriktkrankenhäusern, regelmäßig an wesentlichen Gesundheitsgütern mangelt. Ebenso besorgniserregend sind nationale Prognosen, nach denen es im kommenden Jahrzehnt "mehr Menschen mit chronischen Krankheiten, mehr Menschen mit Multimorbidität und mehr Menschen mit nicht übertragbaren Krankheiten geben wird. Mehr ältere Menschen mit Behinderungen werden institutionelle Pflege benötigen; mehr Menschen werden Palliativpflege benötigen. Dies erfordert neue Dienstleistungen, neue Fähigkeiten des Gesundheitspersonals, neue Ansätze in der medizinischen Versorgung [...]" (Gesundheitsministerium, 2021). Vor diesem Hintergrund wird in der Analyse besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt, auf welche Weise das Ziel einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung bis 2030 erreicht werden kann, wie es der tansanische Strategieplan für den Gesundheitssektor V (2021-2026) ausdrücklich proklamiert.
Im Einklang mit der eingangs erwähnten übergreifenden Forschungsfrage verfolgt diese Studie zwei Ziele: Erstens soll die Struktur und Zusammensetzung des tansanischen Gesundheitssystems untersucht werden, um seinen aktuellen Zustand zu bewerten und festzustellen, inwieweit es den Zugang zur medizinischen Grundversorgung in ländlichen und städtischen Gebieten fördert. Zweitens soll eine kritische Analyse des bestehenden Rechts- und Regulierungsrahmens im Hinblick auf seine Fähigkeit, den Zugang zur primären Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, unter Berücksichtigung der einschlägigen regionalen und internationalen normativen Rahmenwerke vorgenommen werden. Konkret werden die Ziele dieser Studie erreicht, indem erstens die konzeptionellen, kontextuellen und normativen Grundlagen des Zugangs zur medizinischen Grundversorgung erarbeitet und erörtert werden (erster Teil der Studie) und zweitens dieser Analyserahmen als rechtlicher Maßstab für die kritische Prüfung und Bewertung des tansanischen Rechts- und Regulierungssystems verwendet wird (zweiter Teil der Studie). Da es sich um eine juristische Sekundärforschung handelt, wird ein auf sozialen Rechten basierender Ansatz verwendet, der sich auf eine gründliche Textanalyse einschlägiger primärer und sekundärer Informationsquellen stützt, um den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema zu ermitteln. Das Forschungsprojekt wird ferner eine reformorientierte Studie darstellen, in der Empfehlungen in Form von spezifischen Vorschlägen unterbreitet werden.