Anerkennung durch Sozialrecht | Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik - MPISOC
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Anerkennung durch Sozialrecht

Auch wenn die Abhängigkeit des rechtswissenschaftlichen Denkens von den Vor-einstellungen der Rechtsanwender spätestens seit Martin Heideggers „Sein und Zeit“ sowie Hans Georg Gadamers „Wahrheit und Methode“ ein bekanntes theoretisches Problem darstellt, wird es in Alltag und Wissenschaft des Rechts nur selten reflektiert. Nicht nur die persönlichen Vor-urteile des spezifischen Rechtsanwenders, sondern auch das durch die Rechtstradition geschaffene allgemeine Rechtsbewusstsein prägen die Art und Weise wie aus den Normtexten Dogmatiken, Prinzipien und rechtliche Regeln gebildet werden. Doch welche Rolle spielt die so angesprochene Gesellschafts- und Bewusstseinsverfassung für das Recht und was passiert mit dem Recht, wenn sie sich ändert? Was sagt die Abhängigkeit des Rechts von der Verfassung des Geistes über das Verhältnis von Recht und Ideologie aus? Unter dem Titel „Anerkennung durch Sozialrecht – Interdependenzen in einer Gesellschaft sozialer Freiheit“ versucht das Dissertationsprojekt diesen Fragen nachzuspüren, indem es die Dogmatiken, Prinzipien und rechtlichen Regeln des Sozialrechts auf der Grundlage des Sozialgesetzbuchs, unter dem Vorzeichen eines anerkennungstheoretischen Gesellschaftsbildes neukonstruiert.

Das anerkennungstheoretische Gesellschaftsbild wird dabei der Hegel- Interpretation von Axel Honneth entnommen. In seinem Mittelpunkt steht stets die Frage: Wie erreichen Menschen den Zustand sozialer Freiheit und welche Aufgaben erfüllen die verschiedenen gesellschaftliche Institutionen als Gesamtheit zur Lösung der damit verbundenen Aufgaben? Der Zustand sozialer Freiheit ist die fortschreitende Ausweitung der Anerkennung zwischen den Menschen, also die gegenseitige Verwirklichung persönlicher Handlungsziele in intersubjektiven Beziehungen. Ein Sozialrecht, welches mithin die soziale Freiheit der Menschen im Hinterkopf hat, muss sich in seiner Anwendung soziologisch und philosophisch informiert über seine Interdependenzen mit gesellschaftlichen Anerkennungsbeziehungen bewusst bleiben. Damit kommt nicht nur die Perspektive der Ausweitung sozialstaatlicher Leistungen, deren Organisation und Durchsetzung in den Blick, sondern auch die institutionell verkörperte Beschränktheit des Sozialrechts bei der Lösung sozialer Fragen. So führt die Anerkennungstheorie zu einem Modell des Sozialstaates, welches an versorgendem Wohlfahrtsstaat und aktivierendem Sozialstaat vorbei zu einer Idee von sozialer Aktivierung nicht von Menschen, sondern sozialen gesellschaftlichen Ressourcen führt.

Am Ende steht ein sozialphilosophisches Gesamtkonzept des Sozialrechts, welches als erstes seiner Art, im Sinne einer kohärenten Interpretation für Praxis und Theorie inspirative Wirkung entfalten kann sowie Methode und Grundlage für vertiefende Forschung bietet. Damit überwindet das Projekt den grundsätzlichen Bedenken, welche sich gegen Konzepte sozialer Gerechtigkeit als nur ideologisch-relativ gültige Theorien ergeben und geht über den damit implizierten Logozentrismus hinaus. Irgendwo zwischen Moderne und Postmoderne ist klar geworden, dass auch die Politisierung des Rechts keine absolute Position ist, sondern ein Idiom unter vielen. Alternativen sind hier nicht nur erwünscht, sondern als Spiegel des eigenen Denkens unabdingbar.