Zugang zu sozialen Rechten in Taiwan | Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik - MPISOC
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Doktorandenkolleg: "Durchsetzung sozialer Rechte"

Zugang zu sozialen Rechten in Taiwan

Das Sozialrecht  spielt eine bedeutende Rolle im täglichen Leben der Menschen, da ihre Existenz in vielerlei Hinsicht durch Sozialleistungen sichergestellt und gefördert wird. Dies bedeutet zugleich, dass der Einzelne einen Zugang zu Sozialleistungen haben muss. Um einen Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung geltend machen zu können, müssen die gesetzlich geregelten Leistungsvoraussetzungen erfüllt sein. Wird der Zugang eingeschränkt oder versperrt, wirkt sich das entsprechend auf die Möglichkeit aus, Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können.

Das Sozialrecht wird in Sozialleistungssysteme untergliedert, die über eine eigene Systematik verfügen und einen bestimmten Leistungszweck verfolgen, was sich in der Gestaltung des Zugangs zu Sozialleistungen widerspiegelt. Im taiwanischen Sozialrecht sind zwei Arten von Zugangskriterien zu unterscheiden: einige orientieren sich an Systemtyp und Leistungszweck,  während andere weder systembezogen noch zweckorientiert sind. Mithilfe der letzteren kann der Kreis der Leistungsberechtigten im Sozialrecht  ausgeweitet oder einschränkt werden. So darf z.B. eine sich seit vielen Jahren in Taiwan aufhaltende ausländische Ehefrau eines Taiwaners nicht in die nationale Rentenversicherung eintreten und hat folglich keinen Rentenanspruch, obwohl sie bei keiner anderen gesetzlichen Rentenversicherung in Taiwan versichert ist und ihr Rentenanspruch daher von dieser nationalen Rentenversicherung abgedeckt werden sollte. In diesem Fall setzt die Mitgliedschaft als eines der Zugangskriterien zu Leistungen der nationalen Rentenversicherung die taiwanische Staatsangehörigkeit voraus, weshalb Ausländer/innen der Zugang verwehrt bleibt. Dieses Beispiel zeigt, dass bestimmte Personen in Taiwan wegen nicht an den Leistungszweck gebundener Zugangskriterien von Sozialleistungen ausgeschlossen werden, obwohl de facto ein Bedarf an Sozialleistungen besteht. Das Auseinanderfallen von statusbezogenen Voraussetzungen und sozialrechtlichem Schutzbedarf  wirft die verfassungsrechtliche Frage auf, ob die Gesetze, mit denen der Gesetzgeber solche Ausschlüsse geschaffen hat, im Einklang mit der Verfassung stehen. Dieser Frage geht die inzwischen abgeschlossene Doktorabeit nach.

Die Arbeit ist in zwei Hauptteile gegliedert:  Im ersten Teil werden die Zugangsvoraussetzungen zu Sozialleistungen in Taiwan analysiert, ehe im zweiten Teil auf die Verfassungsmäßigkeit der Leistungsvoraussetzungen eingegangen wird. Zunächst werden die notwendigen institutionellen Voraussetzungen zur Durchsetzung sozialer Rechte, die als wesentliche Basis für die Untersuchung dienen, diskutiert. Es folgt ein Überblick über das taiwanische Sozialrechtssystem, einschließlich der arbeitsrechtlichen, ausländerrechtlichen und familienrechtlichen Gesetze sowie anderer Normen, die mit den Zugangskriterien in Zusammenhang stehen. Daran schließt sich die Analyse der unterschiedlichen Zugangskriterien im taiwanischen Sozialrecht an, um festzustellen, welche Zugangskriterien verwendet werden und welche Barrieren sich daraus ergeben. Im zweiten Teil wird zuerst anhand der Verfassungsprinzipien, besonders des Sozialstaatsprinzips und des Rechtsstaatsprinzips, untersucht, inwieweit der Zugang zu sozialen Rechten in Taiwan unter dem Schutz der Verfassung steht. Anschließend beleuchtet diese Arbeit die Verfassungsmäßigkeit der im taiwanischen Sozialrecht verwendeten Zugangskriterien. Diese Überprüfung wird mithilfe der verfassungsrechtlichen Prinzipien nach den Kategorien des Zugangs zu unterschiedlichen Leistungsarten vorgenommen.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass zwar manche nicht systemorientierte und nicht zweckbezogene Leistungsvoraussetzungen gerechtfertigt sind, die meisten jedoch als verfassungswidrig eingestuft werden müssen. Insbesondere für Ausländer/innen ist der Zugang zu Leistungen im taiwanischen Sozialrecht, vor allem zu steuerfinanzierten Leistungen, stark eingeschränkt oder sogar versperrt. Dieser Umstand lässt sich oft darauf zurückführen, dass der Gesetzgeber die Systematik des Sozialrechts verkennt und dessen Leistungszweck vernachlässigt. Wenn der Gesetzgeber keine triftigen und stichhaltigen Gründe für nicht systembezogene bzw. nicht zweckorientierte Leistungsvoraussetzungen anführen kann, hat er diese mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen.

Autor(en)
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Ya-Chu Tsai

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