Soziale Sicherung in Bulgarien: Funktionale Systematisierung und Einfluss des Verfassungs- und Völkerrechts | Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik - MPISOC
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Soziale Sicherung in Bulgarien: Funktionale Systematisierung und Einfluss des Verfassungs- und Völkerrechts

Die Sozialschutzsysteme von Staaten befinden sich in einem ständigen Wandel, und Bulgarien stellt da keine Ausnahme dar. Um Herausforderungen wie dem demografischen Wandel und einer insgesamt fragilen Wirtschaftslage zu begegnen, werden zahlreiche Reformen durchgeführt, die mitunter so weit gehen, dass sie strukturelle Änderungen in Schlüsselbereichen der sozialen Sicherung wie der Altersrentenregelung einführen. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Systems werden im Zuge solcher Reformen häufig wirtschaftliche Belange diskutiert, während die damit verbundenen rechtlichen Fragen entweder vernachlässigt oder zu wenig erörtert werden. Da jedoch Gesetze letztlich das gesamte Sozialschutzsystem ausgestalten, müssen die rechtlichen Aspekte im Zuge von Reformmaßnahmen notwendigerweise berücksichtigt werden.

Die vorliegende Dissertation verfolgt das zweifach Ziel, eine funktionale Systematisierung der sozialen Sicherung in Bulgarien zu erarbeiten sowie die verfassungs-, völker- und europarechtlichen Einflüsse auf das System zu bewerten. Zum einen ist ein grundlegendes Verständnis des rechtlichen Rahmens, der den sozialen Schutz umfasst, erforderlich. Eine Gliederung des bulgarischen Systems der sozialen Sicherung nach den Funktionen der verschiedenen Maßnahmen ermöglicht nicht nur dessen gründliche Untersuchung, sondern auch seine Systematisierung auf der Grundlage der institutionellen Merkmale der verschiedenen Maßnahmen.

Zum anderen werden Einflüsse höherrangigen Rechts auf den bulgarischen Sozialschutz aufgezeigt. Insbesondere das Verfassungs- und Völkerrecht kann aufgrund seines Charakters als übergeordnetes Normengefüge Bedeutung entfalten, indem es staatliche Eingriffe einzudämmen sucht und soziale Rechte gewährt bzw. den Umfang bereits bestehender Sozialleistungen erweitert. Auch wenn das europäische Recht den Sozialschutz koordiniert und nicht harmonisiert, müssen sich die verschiedenen nationalen Systeme dennoch in den europäischen Rechtsrahmen einfügen, was unbestreitbar einen gewisse Einfluss auf und Anpassung von nationaler Seite zur Folge hat. Die Frage der Bedeutung des Verfassungs-, Völker- und Europarechts für die soziale Sicherung ist ein zentrales Thema, insbesondere angesichts der Tendenz zu zahlreichen Reformen in diesem Bereich in Bulgarien. Die Herausforderungen, vor denen der Sozialschutz steht, können nur durch einen umfassenden Ansatz angegangen werden, der auch den rechtlichen Rahmen und den Einfluss des Verfassungs- und Völkerrechts berücksichtigt.

Die Untersuchung besteht aus zwei Hauptteilen, die ihre eigenen methodischen Ansätze in Bezug auf die jeweiligen Ziele haben. Die zur Erarbeitung der Funktionalitäten der verschiedenen Sicherungsbereiche verfolgte Methodik geht von dem Problem aus, das einer rechtlichen Lösung bedarf, und nicht von der rechtlichen Lösung, die durch ein entsprechendes Gesetz gegeben ist. Dieser exogene Ansatz trägt dazu bei, die den verschiedenen Bausteinen des Sozialschutzsystems zugrunde liegende Logik zu verstehen.

Der zweite Hauptteil der Untersuchung befasst sich mit den rechtlichen Einflüssen auf die verschiedenen Zweige des Sozialsystems, die auf Basis der funktionalen Systematisierung im ersten Teil der Untersuchung ermittelt wurden. In diesem Zusammenhang sind übergeordnete Normen zu berücksichtigen, die die Gestaltung des einfachen Rechts beeinflussen können. Bisher wurde der Frage, wie das Verfassungs-, Völker- und Europarecht den bulgarischen Sozialschutz beeinflusst, keine Aufmerksamkeit geschenkt. Dennoch sind Verfassungen wichtig für den Erlass und die Gestaltung von Gesetzen im Allgemeinen und potenziell auch für Maßnahmen der sozialen Sicherung im Besonderen, da ihre Funktion und ihr Inhalt die Grenzen des Handelns der Behörden festlegen und darauf abzielen, die Rechte der Bürger zu garantieren. Verfassungs- und Völkerrecht können den Gesetzgeber zwar nicht daran hindern, Reformen in die Wege zu leiten, aber fordern, dass diese unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit und bestimmter Einschränkungen umgesetzt werden.

Darüber hinaus wird untersucht, wie das europäische Recht den nationalen Sozialschutz beeinflusst hat, wobei den Besonderheiten dieser Rechtsordnung im Hinblick auf ihre Stellung in der nationalen Normenhierarchie sowie den Zuständigkeiten der EU in diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Methodik dieses Teils beruht auf den Phasen, in denen verfassungsrechtliche, völkerrechtliche und europarechtliche Einflüsse von den jeweiligen institutionellen Akteuren geltend gemacht werden können. Es werden für die Untersuchung somit die Zeitspannen der Normsetzung und Normenkontrolle herangezogen, in denen der Gesetzgeber bzw. das Verfassungsgericht Einfluss auf das Sozialschutzsystem genommen haben.

Generell könnte sich die Untersuchung des Einflusses des Verfassungs- und Völkerrechts auf die soziale Sicherung nicht nur in Bezug auf den konkreten nationalen Kontext Bulgariens als wertvoll erweisen, sondern auch zu weitreichenderen Debatten über Umfang und Ausgabenvolumen von Sozialschutzmaßnahmen beitragen. Viele Länder führen Reformen in den sozialen Sicherungssystemen durch, um den Druck auf die öffentlichen Haushalte zu verringern und Investitionen anzuziehen. Je mehr der Sozialschutz zu einem Argument im Rahmen von Sparmaßnahmen und internationalem Wettbewerb wird, umso wichtiger ist es, die Bedeutung des rechtlichen Rahmens im Allgemeinen und des Verfassungs- und Völkerrechts im Besonderen bei der Entwicklung der sozialen Sicherung aufzuzeigen. Schließlich kann die Untersuchung der Einflussmöglichkeiten des europäischen Rechts zu einer differenzierteren Diskussion über dessen Rolle gegenüber den nationalen Sozialschutzsystemen beitragen.

Autor(en)
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Teodora Petrova