München, 2014. Mit der umstrittenen „Rente mit 63“ wird Versicherten, die die Wartezeit von 45 Jahren erfüllen, der abschlagsfreie Rentenzugang ab 63 Jahren ermöglicht. In einer MEA Studie identifizieren Axel Börsch-Supan, Michela Coppola und Johannes Rausch diejenigen Versicherten, die tatsächlich von der neuen „Rente mit 63“ profitieren. Außerdem werden die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Gesetzliche Rentenversicherung untersucht. Die Analysen ergeben, dass bestehende Klischees nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt werden können.
Vorteile für außerordentlich langjährig Versicherte vor 2014
Um den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen, sind in den vergangenen 20 Jahren mehrere Rentenreformen in Deutschland verabschiedet worden, die unter anderem auf die Erhöhung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters abzielten. Gleichzeitig sollten Versicherte mit außerordentlich langjähriger Berufstätigkeit privilegiert werden, um die mit solchen Erwerbsbiografien verbundene Härte zu berücksichtigen. Dazu ist mit der Rentenreform 2007, neben der schrittweisen Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre, auch eine Altersrente für „besonders langjährig Versicherte“ eingeführt worden. Personen, die eine Wartezeit von 45 Jahren erfüllen, bleiben so von der Anhebung der Regelaltersgrenze unberührt. Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs waren bei diesen Reformen von der Anrechnung auf die Wartezeit explizit ausgenommen.
Rente mit 63
Mit dem am 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Leistungsverbesserung in der Gesetzlichen Rentenversicherung, wurde die Rente für „besonders langjährig Versicherte“ nun zusätzlich ausgeweitet. Versicherten, die die Wartezeit von 45 Jahren erfüllen, ermöglicht die sogenannte „Rente mit 63“ einen abschlagsfreien Rentenzugang bereits im Alter von 63 Jahren. Auch die Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs werden dabei auf die Wartezeit angerechnet.
Wer profitiert von der „Rente mit 63“?
Mithilfe von Daten des Forschungsdatenzentrums der Deutschen Rentenversicherung (FDZ-RV) untersuchten die MEA-Wissenschaftler welche Versicherten von der neuen „Rente mit 63“ profitieren. Außerdem wurden mithilfe des Rentensimulationsmodells MEA-Pensim 2.0 die Auswirkungen auf die mittel- und langfristige Entwicklung des Rentenniveaus und des Beitragssatzes analysiert. Die Untersuchungen wurden dabei auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Definitionen der „Wartezeit von 45 Jahren“ angestellt.
Die Analysen der MEA Wissenschaftler zeigen, dass sich der Anteil der Begünstigten, je nach Definition der Arbeitslosenzeitenin der Wartezeit, um 5,5 bis 9,7 Prozentpunkte erhöht. Insbesondere Frauen aus den neuen Bundesländern sind nun viel häufiger in der Gruppe der besonders langjährig Versicherten vertreten, wenn die Arbeitslosenzeiten in der Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden.
Vergleicht man die Erwerbsbiografien besonders langjährig Versicherter (45 Jahre Wartezeit) mit langjährig Versicherten (35 Jahre Wartezeit) lassen sich dabei drei Aspekte erkennen:
Fazit: Das Klischee vom „Arbeiter, der 45 Jahre lang malocht und dafür seine Gesundheit verschlissen hat“ ist also nicht korrekt. Eher profitieren die Menschen, denen es nicht besonders schlecht geht, sondern die in einem überwiegend kontinuierlichen Erwerbsleben höhere Rentenansprüche erworben haben.
Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Gesetzliche Rentenversicherung
Die Studie stellt darüber hinaus erhebliche Arbeitsmarktwirkungen der „Rente mit 63“ fest. Da die abschlagsfreie Rente mit 63 auch bedeutet, dass eine Weiterarbeit keine höhere Rente pro Entgeltpunkt mehr bringt, setzt die „Rente mit 63“ sehr starke Anreize zu einer Frühverrentung. Empirische Studien zeigen, dass die Renteneintrittsentscheidungen der Menschen auf die im System eingebetteten Anreize reagieren. Bleiben die Effekte unbeeinflusst von externen Effekten, wie z. B. zusätzlichen Anreizen zur Weiterarbeit seitens der Arbeitgeber, geht die Studie von einer Reduzierung der Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten je nach Definition der berücksichtigten Arbeitslosenzeiten bis 2028 um durchschnittlich 133.000 bis 146.000 Personen aus.
Was die Auswirkungen auf die Gesetzliche Rentenversicherung angeht, zeigen die Simulationen, dass die „Rente mit 63“ zu einem höheren Beitragssatz und einem niedrigen Rentenniveau im Vergleich zu einer Situation ohne die Reform führt. Bis 2030 liegt der Beitragssatz im Schnitt 0,9 bis 0,11 Prozentpunkte höher als im Szenario ohne die „Rente mit 63“. Das Brutto-Standardrentenniveau fällt im gleichen Zeitraum im Schnitt um 0,2 Prozentpunkte geringer aus. Die jährlichen Mehrausgaben liegen bis 2030 bei ca. 2,5 Milliarden Euro.
Fazit: Da der Rentenbeitrag vom Bund bezuschusst wird, müssen zur Finanzierung der „Rente mit 63“ Steuern erhöht werden oder an anderer Stelle Einsparungen im Staatshaushalt erfolgen. Somit sind nicht nur die in der Gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Personen, sondern alle Bürgerinnen und Bürger an der Finanzierung der „Rente mit 63“ beteiligt. Diejenigen Rentner, die nicht von der Reform profitieren, bezahlen zudem langfristig mit geringeren Renten für die Reform.
Die „Rente mit 63“: Wer sind die Begünstigten? Was sind die Auswirkungen auf die Gesetzliche Rentenversicherung? MEA Discussion Paper 17-2014: Axel Börsch-Supan, Michela Coppola, Johannes Rausch