27. März 2020
Wir haben in Deutschland ein solides Rentensystem. Leider gibt es viele Fehlinformationen, die die Menschen verunsichern, etwa diejenige, dass der demographische Wandel die Renten sinken lässt. Das ist nicht der Fall. Weder Corona noch die Alterung der Bevölkerung werden die Renten in ihrer Substanz bedrohen. Es werden nur die Rentensteigerungen weniger großzügig ausfallen als in der Vergangenheit.
Dennoch müssen wir für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet sein. Um auch in Zukunft das Rentensystem stabil zu halten und die Lasten gleichmäßig zu verteilen, ist keine grundlegende Reform unseres Rentensystems notwendig. Erforderlich ist jedoch eine behutsame und verhältnismäßige Anpassung an den demographischen Wandel, wie sie bereits derzeit mit der Rentenanpassungsformel und der Rente mit 67 im Gange ist. Eine Fortführung dieser Linie muss jetzt beschlossen werden, denn eine kluge Rentenpolitik muss vorausschauend sein und braucht langfristiges Denken. Ein Aufschieben auf künftige Beiräte und Kommissionen bedeutet hingegen, sich heute vor der Verantwortung zu drücken und den Menschen Planungssicherheit für ihre Zukunft zu nehmen.
Drei Imperative stehen dabei im Vordergrund: An die Realität des demographischen Wandels müssen wir uns anpassen! Die Gerechtigkeit zwischen den Generationen muss gewahrt bleiben! Die Finanzierung der Rentenversicherung muss nachhaltig sein!
Daraus ergeben sich die folgenden Empfehlungen für eine solide und verlässliche Rentenpolitik:
- Keine Illusionen schüren! FixeHaltelinien lösen keine Probleme, sie verlagern die finanzielle Belastung nur in andere Bereiche. Entscheidende Reformschritte zur Stabilisierung unseres Rentensystems, wie die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors, der die Beitragszahler entlastet, wurden wieder ausgesetzt. Zudem wurden 2014 mit der Rente mit 63 und 2018 mit der doppelten Haltelinie Erwartungen geweckt, die aufgrund des fortschreitenden demographischen Wandels nicht erfüllt werden können. Im Ergebnis müssen die zusätzlichen Mittel, die aufgrund fehlender Beitragseinnahmen bei gleichzeitig höheren Ausgaben für die Renten benötigt werden, nun auf anderem Weg aufgebracht werden. Dies wird durch die Corona-Krise weiter erschwert. Je nachdem, wie man das macht, werden bestimmte Bevölkerungsgruppen oder die gesamte Bevölkerung belastet, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Lohn- oder Mehrwertsteuer. Haltelinien verlagern die Finanzierungsprobleme somit nur auf andere Teile der Bevölkerung. Im Falle von Mehrwertsteuererhöhungen werden die Konsumenten belastet, was vor allem Ärmere und Jüngere trifft.
- Missverständnisse beseitigen: Während wohl jeder versteht, was es bedeutet, wenn der Beitragssatz ansteigt, herrscht großes Unwissen darüber, was es heißt, wenn das Sicherungsniveau sinkt: Wenn das Rentenniveau durch den Nachhaltigkeitsfaktor sinkt, bedeutet das nicht, dass sich die Rente an die Grundsicherung annähert, sondern lediglich, dass die Rente langsamer als die Löhne steigt. Der Nachhaltigkeitsfaktor wird das Sicherungsniveau bis 2045 um etwa einen halben Prozentpunkt pro Jahr senken. Da die Löhne aber im langfristigen Durchschnitt um etwa 1,5% pro Jahr kaufkraftbereinigt ansteigen, bleibt immer noch ein ganzes Prozent Kaufkraftsteigerung pro Jahr für die Rente übrig. Die jüngere Generation wird in Zukunft also Renten mit einer Kaufkraft haben, die fast ein Drittel höher ist als heute. Beitragszahlungen für die Rentenversicherung lohnen sich auch in einer Zukunft, die vom demographischen Wandel geprägt sein wird.
- Dynamisierung des Rentenalters: Alle Projektionen der amtlichen Statistik gehen davon aus, dass auch in Zukunft die Lebenserwartung steigen wird. Die Zuwächse in der Lebenserwartung müssen in regelmäßigen Abständen zwischen einer längeren Lebensarbeitszeit und einer längeren Rentenbezugszeit aufgeteilt werden. Da die Menschen gegenwärtig im Durchschnitt etwa 40 Jahre arbeiten und 20 Jahre lang Rente beziehen, liegt es nahe, dieses Verhältnis auch zukünftig zu wahren. Ein zusätzliches Rentenbezugsjahr muss also durch zwei Jahre Arbeit gegenfinanziert werden, bzw. eine drei Jahre längere Lebenszeit in zwei Jahre mehr Arbeit und ein Jahr mehr Rente aufgeteilt werden. Dies sollte regelgebunden gesetzlich verankert werden und nicht der Willkür politischer Opportunität unterliegen. Abnahmen der Lebenserwartung, die wir uns nicht erhoffen, würden ebenso automatisch in eine entsprechende Verkürzung von Arbeits- und Rentenbezugszeit münden.
- Sicherung der Erwerbsminderungsrenten: Es muss dabei Ausnahmen für Erwerbsgeminderte, deren physisch oder psychisch anstrengender Beruf eine Weiterarbeit unzumutbar macht, geben. Das steigende Renteneintrittsalter sollte immer mit einer Anpassung der Erwerbsminderungsrenten kombiniert werden.
Denkbar sind auch Mittelwege zwischen Erwerbsminderungs- und normaler Altersrente, die an die tatsächliche Arbeitsbelastung geknüpft sind.
- Maßnahmen gegen Altersarmut müssen gezielt und effizient sein. Die geplante Grundrente ist ein bürokratisches Monstrum und erreicht diejenigen Menschen nicht, die im Alter am wahrscheinlichsten von Armut betroffen sind: Menschen mit unterbrochenen Karrierewegen und kurzen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind hier wichtiger als rentenpolitische. Ein Mindestbeitrag zur Rente für Niedrigeinkünfte während des Berufslebens ist sinnvoller als Zuschläge zur Rente, weil dieser das Arbeitsangebot erhöht, während Zuschläge erst eingreifen, wenn es bereits zu spät ist.
- Integration von Beamten und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung: Beamte sollten wegen des Gerechtigkeitsempfindens der Bevölkerung in die gesetzliche Rentenversicherung integriert werden; der Staat muss wegen des Alimentationsgebots den Beamten zusätzlich Betriebsrenten gewähren. Selbstständige sollten nach einer gewissen Karenzzeit der Versicherungspflicht unterliegen. Beide Maßnahmen können jedoch die finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung nicht verbessern, langfristig sogar eher verschlechtern.
- Stärkung der kapitalgedeckten privaten und betrieblichen Altersvorsorge: Die Kapitaldeckung schafft keine Wunder. Die Finanzkrise 2008 und die derzeitige Corona-Krise zeigen, wie überschäumende Erwartungen immer wieder auf das Normalmaß zurückgestutzt werden, welches in etwa dem durchschnittlichen Wirtschafswachstum entspricht. Die kapitalgedeckte zusätzliche Altersvorsorge entlastet jedoch die jüngere Generation, weil sie von der Generation aufgebaut wird, die dann auch später davon profitiert. Da die Verbreitung der Riesterrente stagniert und die Betriebsrente große Lücken vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben hat, sollten Betriebsrenten verpflichtend vom Arbeitgeber angeboten werden. Um vor allem kleinen Betrieben zu helfen, sollte der Staat ein Standardprodukt vorgeben, das auch der kleinste Betrieb anbieten kann, ohne selbst Kosten dafür aufbringen zu müssen. Diejenigen Arbeitnehmer, die schon selbst vorgesorgt haben, sollten die Möglichkeit erhalten, auszuoptieren. Wenn man die Kindergeneration der Babyboomer erreichen will, ist Handeln jetzt geboten. Optionen jetzt nur zu prüfen, aber Entscheidungen auf später zu verschieben, heißt einmal mehr, sich vor Verantwortung zu drücken.
- In Bildung investieren: Der demographische Wandel wirkt sich nicht nur auf die Finanzierung der Altersvorsorge aus. Die Alterung der Gesellschaft bedeutet, dass wir mehr in die Jugend investieren müssen, weil die Alten auf die Jungen angewiesen sind. Junge Menschen müssen besser ausgebildet werden, damit sie angemessen hohe Löhne erreichen. Damit der Staat mehr in Bildung investieren kann, ist es wichtig, die Ausgaben des Staates in Balance zu halten. Dies gilt auch für die Rentenausgaben. Bessere Bildung ist das Fundament, um höherwertigere Arbeitsplätze in Zeiten des demographischen Wandels und der Digitalisierung zu schaffen.
Fazit: Wir haben ein gutes Rentensystem in Deutschland, aber es muss an die demographischen Gegebenheiten vorausschauend angepasst werden. Darum gilt es jetzt entsprechende Beschlüsse einzuleiten und sie nicht weiter in die Zukunft zu schieben, weil es heute schmerzhaft oder politisch nicht opportun ist. Ähnlich wie beim Klimawandel oder bei der Corona-Krise, ist Handeln jetzt nötig, um die Systemstabilität für die Zukunft zu sichern. Dabei müssen die Lasten des demographischen Wandels möglichst gleichmäßig auf diejenigen verteilt werden, die diese Last tragen können. Ausnahmen muss es für diejenigen geben, die das nicht können, sei es gesundheitlich oder finanziell.
Literatur:
- [1] Börsch-Supan, Axel; Rausch, Johannes; Buslei, Hermann; Geyer, Johannes (2020): „Entwicklung der Demographie, der Erwerbstätigkeit, sowie des Leistungsniveaus und der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung", MEA Discussion Paper 02-2020
- [2] Börsch-Supan, Axel; Rausch, Johannes (2018): “Die Kosten der doppelten Haltelinie”, In: ifo Schnelldienst 71(9).
- [3] Börsch-Supan, Axel; Rausch, Johannes (2020): „Lassen sich Haltelinien, finanzielle Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit miteinander verbinden?“, MEA Discussion Paper 03-2020
- [4] Börsch-Supan, Axel (2020): „Alternativlose Rentenpolitik: Anpassung an die demografischen Veränderungen“, in: Deutschen Rentenversicherung, Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin, März 2020. S. 77-91.
- [5] Börsch-Supan, Axel; Rausch, Johannes (2020): „Corona und Rente“, MEA Discussion Paper 11-2020
- [6] Börsch-Supan, Axel; Ferrari, Irene; Salerno, Luca (2020): “Verteilung und Entwicklung von Gesundheit im Alter”, MEA Discussion Paper 06-2020
- [7] Börsch-Supan, Axel; Ferrari, Irene; Goll, Nicolas (2020): “Die Entwicklung des Eintrittsalters in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung”, MEA Discussion Paper 07-2020
>> Download der Empfehlungen von Axel Börsch-Supan (PDF)