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FAQ Sozialpolitik

FAQ Sozialpolitik

Hier finden Sie Antworten auf Fragen zu sozialpolitischen Themen und MEA-Stellungnahmen.

Alterssicherung

Ist das Umlageverfahren alternativlos?

Die gesetzliche Rente in Deutschland wird im Umlageverfahren erwirtschaftet. Das heißt, die Jüngeren zahlen Beiträge ein, die sofort wieder an die Älteren ausgezahlt werden. Wenn es also durch den demographischen Wandel immer mehr ältere und immer weniger jüngere Menschen gibt, dann steigen die Ausgaben bei abnehmenden Einnahmen. Das deutsche Rentensystem gleicht dies u.a. aus, indem es die Renten weniger stark ansteigen lässt als in der Vergangenheit, gleichzeitig aber die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung stärker ansteigen.

Kapitalgedeckte Rentensysteme können im Gegensatz zum Umlageverfahren die Generationen entkoppeln, weil jede Generation für sich selbst sorgt. Dies ist vor allem für den so abrupten Übergang von Babyboom zu Pillenknick von großem Vorteil. Mithilfe des Kapitaldeckungsverfahrens kann die Babyboom-Generation an den Kosten des demographischen Wandels beteiligt werden.

Der Pferdefuß des Kapitaldeckungsverfahrens sind jedoch die langfristigen Kapitalmarkt- und politischen Risiken. Der Staat greift z.B. über die Besteuerung der Kapitalerträge oder mittels der Geldpolitik in die Rendite des angelegten Kapitals ein: Hohe Inflation oder, wie derzeit, niedrige Zinsen entwerten das angesparte Kapital. Vor allem ist ein Übergang zum Kapitaldeckungsverfahren zur Lösung der nun schnell ansteigenden Belastungen durch den demographischen Wandel nur Wunschdenken, da der Aufbau des entsprechenden Kapitalstocks eine ganze Generation bräuchte. Dies hätte man also in den 1980er Jahren beginnen müssen; nun ist dies zu spät.

Dennoch ist das Umlageverfahren nicht alternativlos. Erst die richtige Balance beider Verfahren verspricht ein höheres Gesamtversorgungsniveaubei gleichzeitig niedrigerem Gesamtrisiko.

Dies wurde bei Einführung der Riesterrente 2001 ausführlich diskutiert. Der dann in Deutschland erfolgte freiwillige Übergang zu mehr kapitalgedeckter Altersversorgung wurde jedoch nur teilweise angenommen. Hier ist das Glas halb voll oder halb leer, je nach Blickwinkel: Der Anteil von Haushalten mit einer privaten Altersvorsorge ist stark gestiegen und hat mittlerweile auch die Haushalte mit vergleichsweise niedrigen Einkommen erreicht. Allerdings gilt immer noch das Muster, dass je höher das Einkommen, desto höher auch der Anteil an Riesterrenten ist: In den unteren beiden Einkommensquintilen liegt der Anteil bei etwa einem Viertel. Er springt dann im mittleren Einkommensquintil auf fast die Hälfte und erreicht im höchsten Einkommensquintil etwa 60 Prozent.

Mit der Riesterrente ist auch die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge gestiegen; sie erreicht derzeit etwa 55 Prozent aller Beschäftigten. Dies ist allerdings auf die Großbetriebe konzentriert. Die betriebliche Altersvorsorge hat in Deutschland daher noch ein beträchtliches Ausbaupotential bei kleinen und mittleren Unternehmen. Hier ist sind Modelle besonders sinnvoll, die auf Branchen- oder Regionalebene arbeiten, um die Kostendegression auszunutzen, oder auf einem Standardprodukt aufbauen, das sowohl für die private als auch die betriebliche Altersvorsorge nutzbar ist. Damit lässt sich der Aufwand und die Qual der Wahl eines richtigen Altersvorsorgeproduktes für Haushalte und Arbeitgeber in kleinen Unternehmen minimieren. Vorbilder dafür gibt es in Schweden und in Großbritannien.

 

Mehr lesen:

Börsch-Supan, Axel: Alternativlose Rentenpolitik (2020): „Anpassung an die demografischen Veränderungen“; Expertentagung „Die Rentenpolitik vor Zukunftsentscheidungen: Wie sieht ein nachhaltiger Generationenvertrag aus?“ vom 12. bis 14. Februar 2020 in Tutzing, erschienen in: Deutsche Rentenversicherung, 01/2020, Berlin. S. 77 – 91. 

Börsch-Supan, Axel; Roth, Markus; Wagner, Gert G. (2017): "Altersvorsorge im internationalen Vergleich: Staatliche Produkte für die zusätzliche Altersvorsorge in Schweden und dem Vereinigten Königreich". In: Forschungsbericht 494

Sollte die Regelaltersgrenze für den Renteneintritt auf 70 Jahre erhöht werden?

Ein ganz klares Nein! Nichts ist unangemessener, als starr mit festen Altersgrenzen, seien es 65, 67 oder 70 Jahre, auf eine dynamische Entwicklung zu reagieren. Es ist ein großes Geschenk, wenn wir länger gesund sind und länger leben. Gleichzeitig belastet dies aber die Finanzierung des Rentensystems. Deshalb sollte das Rentensystem dynamisch an die Lebenserwartung angepasst und die gewonnenen Jahre vernünftig zwischen länger arbeiten und länger Renten beziehen aufgeteilt werden. Dies ist in der Vergangenheit nur teilweise geschehen. Bis 2007 hat sich die längere Lebenszeit fast ausschließlich in einer längeren Rentenbezugszeit niedergeschlagen. Daher hat sich seit der Einführung des Umlageverfahrens im Jahr 1957 die Rentenbezugszeit auf mittlerweile 20 Jahre mehr als verdoppelt. Sie würde bei einem unveränderten Renteneintrittsalter bis zum Jahr 2045 um weitere 7 Jahre ansteigen.

Die 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes geht davon aus, dass auch nach dem Jahr 2030 die Lebenserwartung weiter ansteigen wird, allein von 2025 bis 2045 um etwa 2,5 Jahre. Diese gewonnenen Jahre machen deutlich mehr als 10% der Rentenbezugszeit aus und implizieren, wenn die Vorausberechnungen tatsächlich Realität werden sollten, eine dementsprechende Mehrbelastung unseres Rentensystems.

Ausgehend von der geltenden Rechtslage, die das Renteneintrittsalter bis 2030 schrittweise auf 67 Jahre erhöht, zeigt die untenstehende Grafik (zur Ansicht bitte auf den Link klicken) den Spielraum der gewonnenen Jahre, wie er von der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung erwartet wird (grüne Fläche). Im einen Extrem wird das Rentenalter nach 2031 konstant gehalten (blaue Linie). Die gesamte grüne Fläche wird also der Rentenbezugszeit zugeschlagen. Im anderen Extrem wird das Renteneintrittsalter vollständig an die Lebenserwartung angepasst (rote Linie). Ab 2031 würde sich dann die Rentenbezugszeit nicht mehr ändern.

Stabil wäre die umlagefinanzierte Rente aber nur, wenn die Proportionen zwischen Lebensarbeitszeit und Rentenbezugszeit unverändert blieben. Einen ersten Schritt dazu soll die graduelle Erhöhung des Regelrenteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre leisten, die noch 13 Jahre andauert.

>> Grafik: Lebenserwartung und Regelrenteneintrittsalter 

Eine mögliche Balance zwischen diesen beiden Extremen ist mit der grünen Linie (3:2:1-Regel) angedeutet. Die Weisheit in der 3:2:1 Aufteilung (= 3 Jahre längere Lebenserwartung : 2 Jahre Verschiebung des Rentenalters : 1 Jahr zusätzlicher Rentenbezug) liegt darin, die Proportionen des Lebens zu wahren. Gegenwärtig besteht ein Durchschnittsleben aus etwa 40 Jahren Arbeit und 20 Jahren Rentenbezug. Genauso muss ein zusätzliches Jahr Rente durch zwei Jahre Arbeit finanziert werden. Diese Proportionen gilt es auch nach dem Jahr 2030 zu wahren, am besten regelgebunden. Die passende nüchtern-analytische Maßnahme ist daher, nach 2030 eine dynamische 3:2:1 Regel einzuführen, nach der die Zuwächse der Lebenserwartung in regelmäßigen Abständen in zwei Anteile längerer Arbeitszeit und einem Anteil längerer Rentenbezugszeit aufgeteilt werden (oder, was wir nicht hoffen, Abnahmen der Lebenserwartung ebenso automatisch in eine 2:1 Verkürzung von Arbeits- und Rentenbezugszeit).

 

Mehr lesen:

Börsch-Supan, Axel: Alternativlose Rentenpolitik: Anpassung an die demografischen Veränderungen; Expertentagung „Die Rentenpolitik vor Zukunftsentscheidungen: Wie sieht ein nachhaltiger Generationenvertrag aus?“ vom 12. bis 14. Februar 2020 in Tutzing, erschienen in: Deutsche Rentenversicherung, 01/2020, Berlin. S. 77 – 91.

 

Mit welchen Mehrkosten wäre bei Beibehaltung der „doppelten Haltelinie“ nach 2025 zu rechnen?

Seit 2019 gilt eine so genannte „doppelte Haltelinie“, die dafür sorgt, dass das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung nicht unter 48 % absinken und gleichzeitig der Beitragssatz nicht über 20 % ansteigen wird. Diese Haltelinie gilt bis 2025. Anschließend gilt wieder „altes Recht“, nach dem das Sicherungsniveau und der Beitragssatz gemäß der Rentenanpassungsformel inklusive des Nachhaltigkeitsfaktors angepasst wird. MEA Berechnungen zeigen, wie sich die Mehrausgaben entwickeln, wenn die derzeitige doppelte Haltelinie über 2025 hinaus beibehalten wird.

Die Mehrausgaben bei Beibehaltung der doppelten Haltelinie wären zwar zunächst relativ gering, aber bereits im Jahr 2025 würden diese inflationsbereinigt knapp 11 Mrd. Euro betragen. Dabei geht das MEA von einer Vorausschätzung der Bevölkerung und der Beschäftigung aus, die zwar weniger optimistisch ist als die der Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, aber deutlich optimistischer als z.B. die Projektion der Bundesbank. Auch die Corona-Krise mit dem jetzt schon absehbaren konjunktur- und Beschäftigungseinbruch ist noch nicht berücksichtigt.

Die folgende Grafik (bitte zur Ansicht auf den Link klicken) macht die steuerlichen Mehrausgaben sichtbar, die auf den Staat zukommen würden:

>> Abbildung: Kosten der doppelten Haltelinie 2023-2060 (Mrd. Euro)

Der durch Steuern finanzierte Beitrags-Fehlbetrag in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) würde 2030 45 Mrd. erreichen und bis 2035 auf über 80 Mrd. Euro pro Jahr anwachsen, also mehr als dem doppelten der heutigen Nachhaltigkeitsreserve. Würde man diese Politik bis zum Jahr 2060 fortsetzen, läge der durch Steuermittel sicherzustellende Finanzbedarf bei knapp 180 Mrd. in diesem Jahr. Diese Zahlen sind kaufkraftbereinigt, also um die Inflation korrigiert. Zum Vergleich: der Bundeshalthalt 2019 betrug knapp 360 Mrd. Euro. Oder anders: Um 100 Mrd. Euro zusätzliche Einnahmen aufzubringen, müsste die Mehrwertsteuer um 6 Prozentpunkte von jetzt 19% auf 25% erhöht werden.

Die Grafik zeigt daher deutlich, dass die doppelte Haltelinie keine Alternative zum Nachhaltigkeitsfaktor ist. Sie scheint nur auf den ersten Blick beides zu garantieren: einen niedrigen Beitragssatz für die junge Generation und ein hohes Sicherungsniveau für die Rentnergeneration. Dass der Schein trügt, ist offensichtlich: Wie sollen die Kosten des demographischen Wandels verschwinden? Höhere Ausgaben, weil es mehr Rentnerinnen und Rentner geben wird, und weniger Einnahmen, weil die Zahl der Erwerbstätigen sinken wird, lassen sich ja nicht dadurch wegdefinieren, dass man ein Gesetz über einen konstanten Beitragssatz und ein konstantes Sicherungsniveau erlässt.

Da diese Steuermittel von allen Steuerzahlern aufgebracht werden müssen, also sowohl von der Rentner- als auch der jüngeren Generation, entspricht eine Finanzierung der demographischen Last allein durch den Bundeszuschuss ebenfalls einer Lastenverteilung zwischen den Generationen. Wie genau die Gewichte verteilt werden, ist allerdings schwierig zu ermitteln und hängt von der Finanzierung des Bundeshaushalts ab. Der erhöhte Finanzbedarf könnte durch eine Erhöhung der Einkommensteuer, der Verbrauchssteuern oder einer Mischung verschiedener Steuerarten gedeckt werden. Durch die Einkommenssteuer werden nach Einführung der nachgelagerten Besteuerung sowohl Rentner als auch Erwerbstätige erfasst; erstere allerdings auch langfristig in deutlich geringerem Umfang. Der zweite große Einnahmeblock des Bundeshaushalts ist die Mehrwertsteuer. Auch diese dürfte die ältere Generation weniger belasten als die jüngere, da die Konsumausgaben der jüngeren Generation in der Regel höher sind.

Im Kern führt die doppelte Haltelinie also einen enormen zusätzlichen demographischen Bundeszuschuss ein.Er begrenzt den Spielraum für andere Ausgaben des Staates, etwa Bildung, Klimaschutz oder Armutsvermeidung.

 

Mehr lesen:

Börsch-Supan, Axel: Alternativlose Rentenpolitik (2020): „Anpassung an die demografischen Veränderungen“; Expertentagung „Die Rentenpolitik vor Zukunftsentscheidungen: Wie sieht ein nachhaltiger Generationenvertrag aus?“ vom 12. bis 14. Februar 2020 in Tutzing, erschienen in: Deutsche Rentenversicherung, 01/2020, Berlin. S. 77 – 91.

Börsch-Supan, Axel, und Johannes Rausch (2020): „Lassen sich Haltelinien, finanzielle Nachhaltigkeit
und Generationengerechtigkeit miteinander verbinden?“, MEA Discussion Paper 03-2020.

 

Können durch Zuwanderung die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung gelöst werden?

Der demographische Druck auf das Rentensystem resultiert aus dem ungebrochenen Anstieg der Lebenserwartung, einhergehend mit niedrigen Geburtenraten seit dem „Pillenknick“ in den 1960er Jahren sowie aus dem Übergang von Babyboom zu Pillenknick. Innerhalb der OECD ist Deutschland dabei eines der Länder mit der stärksten Bevölkerungsalterung.

Angesichts dieses demographischen Wandels kommt immer wieder die Frage auf, ob der Alterungsprozess durch zusätzliche Einwanderung gestoppt werden kann. Der Vorschlag zu mehr Migration basiert auf der Beobachtung, dass junge Zuwanderer den Altersdurchschnitt der Bevölkerung senken und so die Mitgliederstruktur der Sozialversicherung verjüngen. Gleichzeitig weisen Zuwanderer in der Regel höhere Geburtenraten auf.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Zuwanderungswelle wurden neue Modellrechnungen des Munich Center for the Economics of Aging (MEA) durchgeführt, die zu folgenden Ergebnissen kommen:

Mittelfristig kann Zuwanderung sich positiv auf die Entlastung der Rentenversicherung auswirken: Wenn im Jahr 2015 und 2016 1,5 Millionen Nettoeinwanderer nach Deutschland kommen würden, wenn diese die Altersstruktur bisheriger Einwanderer hätten und wenn bei zwei Drittel dieser Einwanderer die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen würde, dann würde mittelfristig die Rentenversicherung um etwa den Betrag entlastet, den die Mütterrente und die Rente mit 63 zusätzlich gekostet haben.

Ab 2020 gehen die ersten Babyboomer in Rente. Wenn die Migranten aus der aktuellen Zuwanderungswelle in den nächsten Jahren voll in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden, hilft das, die anstehende, starke Belastung der Rentenkassen zu mildern. Da mehr als die Hälfte der Migranten jünger als 25 Jahre alt ist, würden sie bei erfolgreicher Arbeitsmarktintegration noch 40 Jahre lang Beiträge zahlen. Das fiele in den Zeitraum, in dem die Rentenkassen durch die Babyboomer besonders belastet sind.

Kurzfristig, das bedeutet in den nächsten ein bis drei Jahren, gibt es allerdings kaum einen Einfluss auf die Gesetzliche Rentenversicherung, da die Zuwanderer ja erst in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse integriert werden müssen.

Sehr langfristig betrachtet, das heißt in ca. 30-40 Jahren, würde es hinsichtlich oben genannter Annahmen ebenfalls kaum einen Einfluss geben, da die Migranten der jetzigen Einwanderungswelle dann selbst Renten erhalten werden. Um das demografische Problem allein mit Zuwanderung lösen zu können, müssten dauerhaft 1,5 Millionen Menschen pro Jahr zu uns kommen und integriert werden.

In einer MEA-Studie aus dem Jahr 2002 (PDF) wurde bereits berechnet, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung im Jahr 2050 nur um rund 2 Prozentpunkte niedriger liegt (27% anstatt 29%), wenn man mittelfristig von 126.000 Einwanderern pro Jahr ausgeht, im Vergleich zu einer Situation ohne Nettozuwanderung. Dies zeigt, dass nur unrealistisch hohe Zuwanderungszahlen den Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung stabilisieren könnten. Zudem hat sich gezeigt, dass sich die Geburtenzahl von Einwanderern schnell an die der deutschen Bevölkerung angleicht, so dass sich der Altersdurchschnitt in Deutschland durch Einwanderung nur auf mittlere Frist verjüngt.

Zuwanderung kann also den Kern des sozialpolitischen Alterungsproblems nicht lösen, sondern seinen Prozess nur in geringem Ausmaß verlangsamen. Letztendlich hängen die positiven Effekte von einer schnellen und vollständigen Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ab. Deshalb kann die deutsche Sozialpolitik auf keinen Fall hoffen, dass ihr die nötigen Reformen von Zuwanderern abgenommen werden.

Literatur:
Börsch-Supan, A. (2002): Mehr Zuwanderung? Zur Rolle des Auslands bei der Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland, MEA-Diskussionspapier 022-02.

Stand: März 2016

Sollten die Mittel für die Riester-Rente nicht besser in die Gesetzliche Rentenversicherung fließen?

Nein.
Immer mal wieder wird gefordert, das Geld für die Förderung der Riester-Rente „direkt in die Gesetzliche Rentenversicherung zu geben“. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass sich „das Geld für die Riester-Rente“ aus den eigenen Beiträgen der Riester-Sparer und den Mitteln der staatlichen Förderung zusammen setzt. Will man die gesamten Mittel, die derzeit in die Riester-Verträge fließen, zur Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) umlenken, bedeutet dies nicht anderes als die Riester-Rente abzuschaffen. Dies wiederum wäre eine Maßnahme zu Lasten zukünftiger Generationen. Denn die Schaffung der Riester-Rente substitutiv für einen Teil der GRV-Rente stellt letztlich den Übergang zu einem Mischsystem aus Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung dar. Die Kapitaldeckung ist aber deshalb richtig und wichtig, weil nur so Lasten zukünftiger Generationen in die Gegenwart verlagert werden können. In dem Maße, wie heute die Menschen durch Riester-Sparen selbst für ihr Alter vorsorgen, sind sie im Alter weniger auf die Versorgung der dann jungen Generationen angewiesen. Die jungen Generationen werden also entlastet. Es gibt keine andere Möglichkeit als die Kapitaldeckung, um für diese Entlastung zu sorgen. Vorschläge, die Riester-Sparbeträge samt Förderung lieber in die GRV zu stecken, verkennen genau dieses Prinzip und damit den wichtigsten und eigentlichen Grund, die Riester-Rente einzuführen. Eine Abkehr von der Riester-Rente und die Umleitung der Mittel zur GRV würde vielleicht die finanzielle Situation der GRV vorübergehend verbessern und vielleicht auch zu höheren Renten für die heutigen Rentner führen. Die Kindergeneration müsste aber eine weitaus größere Last tragen als mit Riester-Rente. Will man nur die staatlichen Aufwendungen für die Förderung in die GRV umleiten, verkennt man den Grund der Förderung, nämlich einen Anreiz zu schaffen, freiwillig für das Alter vorzusorgen und damit die Lastverschiebung weg von zukünftigen Generationen zu erreichen und um die durch die Reduktion des Niveaus der gesetzlichen Rente entstehende Rentenlücke zu schließen. Ökonomisch gesehen, soll durch die Förderung, das Marktversagen beseitigt werden, das sich aufgrund der Kurzsichtigkeit der Menschen in Fragen der Altersvorsorge ergibt. Entfällt der Anreiz durch die Förderung, wird weniger vorgesorgt. Die Einzahlung nur der Beträge für die Förderung würde ohnehin die finanzielle Situation der GRV kaum verbessern. So machte die Zulagenförderung im Jahr 2008 rund 1,7 Mrd. Euro aus. 1 Mrd. Euro höhere Einnahmen der GRV sind nach einer Faustformel in etwa äquivalent zu einer Beitragssatzsenkung um 0,1 Prozentpunkte.

Literatur:
Börsch-Supan, A. und M. Gasche (2010): Zur Sinnhaftigkeit der Riester-Rente, MEA-Diskussionspapier 197-10, Mannheim.

Ist die steuerliche Abzugsmöglichkeit der Riester-Beiträge eine Subventionierung der Reichen?

Nein. Die Abzugsmöglichkeit der Riester-Sparbeträge von der Steuerbemessungsgrundlage in Frage zu stellen, ist nicht sinnvoll. Denn diese steuerliche Abzugsmöglichkeit ist die Konsequenz des Prinzips der nachgelagerten Besteuerung und hat nichts mit einer Subventionierung der Reichen zu tun. Nach dem Prinzip der nachgelagerten Besteuerung werden die Beiträge aus unversteuertem Einkommen geleistet, in der Rentenphase dann aber der gesamte Rentenzahlbetrag in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen. Das gleiche Prinzip gilt seit dem Alterseinkünftegesetz (nach einer Übergangszeit) im Übrigen auch für die Beiträge zur gesetzlichen Rente. Den Beziehern hoher Einkommen, die Steuerabzugsmöglichkeit zu nehmen, würde bedeuten, das Prinzip der nachgelagerten Besteuerung aufzugeben. Verweigerte man jetzt den Abzug und besteuerte man dann später die Rente voll, würde es zu einer Doppelbesteuerung kommen, die verfassungsrechtlich nicht standhalten würde. Strenggenommen stellt der Abzug der Sparbeiträge von der Steuerbemessungsgrundlage keine Subvention dar. Die Riester-Förderung ist nur in den Fällen eine Subvention, in denen die Höhe der Zulage über den Steuervorteil durch den Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage hinausgeht. Dies ist tendenziell nur bei Beziehern niedriger Einkommen und bei Haushalten mit Kindern der Fall.

Soll der Staat für Empfänger von Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) mehr Geld in die Rentenkasse einzahlen, um deren Rentenansprüche zu erhöhen?

Da die vergangenen 25 Jahre in Deutschland durch eine sehr hohe und steigende Arbeitslosigkeit geprägt waren, werden zukünftig in den Erwerbsbiographien der Neurentner längere Phasen der Arbeitslosigkeit enthalten sein als bei früheren Rentnergenerationen. Dies erhöht das Risiko der Altersarmut, vor allem für die Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Für Empfänger von Arbeitslosengeld I zahlt die Bundesagentur für Arbeit Beiträge nach Maßgabe von 80% des letzten Bruttoeinkommens, so dass sich die Einbußen bei den Rentenansprüchen in Grenzen halten (siehe Kasten). Anders ist dies beim Arbeitslosengeld II. Hier werden die Beiträge einheitlich für alle ALG II-Bezieher nach Maßgabe eines festen Betrages gezahlt. Dieser wurde zunächst 400 Euro festgelegt, dann aber im Zuge einer allgemeinen Haushaltskonsolidierung im Jahr 2007 auf 205 Euro nahezu halbiert. Damit einhergehend haben sich die Rentenansprüche beim Bezug von Arbeitslosengeld II ebenfalls nahezu halbiert. Nach einem Jahr ALG-II-Bezug ergibt sich derzeit beispielsweise in Westdeutschland ein zusätzlicher Rentenanspruch von 2,16 Euro pro Monat. Wenn niedrige Altersrenten und damit ein höheres Altersarmutsrisiko auf geringe Beitragszahlungen wegen Arbeitslosigkeit zurückzuführen sind, könnte man argumentieren, dass man zur Vermeidung der Altersarmut die Beitragszahlungen für die Arbeitslosen erhöhen muss, damit die Rentenansprüche höher ausfallen. In Betracht kommen hier vor allem die GRV-Beiträge für die Empfänger von Arbeitslosengeld II. Da grundsätzlich die Sozialversicherungen nicht zu Zwecken der Haushaltskonsolidierung (Stichwort: Verschiebebahnhöfe) missbraucht werden sollten, wäre es sinnvoll, die Kürzung des Rentenversicherungsbeitrags für die Empfänger von Arbeitslosengeld II rückgängig zu machen. Es wäre auch möglich, die Rentenbeiträge auf Grundlage des Eckregelsatzes des Arbeitslosengelds II (derzeit 359 Euro) zu berechnen. Eine Erhöhung der Beiträge für Arbeitslose darüber hinaus ist systematisch aber nicht zu begründen.

Alternativ gibt es den Vorschlag, die Zeiten der Arbeitslosigkeit später bei der Rentenberechnung höher zu bewerten, also nachträglich höhere Entgeltpunkte zu vergeben, damit die Arbeitslosigkeit nicht zum Grund für Altersarmut wird. Dies ist aber wegen der damit verbundenen Abkehr von der Teilhabeäquivalenz, nach der ein Zusammenhang zwischen der Rentenhöhe und dem (Lebens-) einkommen besteht, abzulehnen. Es handelt sich bei der Höherbewertung um ein versicherungsfremdes Umverteilungselement, das nicht von zukünftigen Beitragszahlern finanziert werden sollte. Die Einkommensumverteilung sollte vielmehr von allen Steuerzahlern innerhalb des Steuer- und Transfersystems bewerkstelligt werden. Genau dies wird aber im Rahmen der Grundsicherung im Alter gemacht, womit also bereits ein adäquates Instrument vorhanden ist.

Verlust der Rentenansprüche durch Arbeitslosigkeit. Beispiel:

Ein Durchschnittseinkommensbezieher arbeitet 40 Jahre. Da man mit dem Durchschnittseinkommen pro Jahr einen Rentenanspruch von einem Entgeltpunkt (EP) erhält, berechnen sich ohne Arbeitslosigkeit die gesamten Rentenansprüche ausgedrückt in Entgeltpunkten wie folgt: 40 • 1 EP = 40 EP.
In Westdeutschland führt dies derzeit zu einer Monatsrente von 40•27,20 Euro = 1.088 Euro.
War die Person während des Erwerbslebens ein Jahr arbeitslos und hat Arbeitslosengeld I bezogen, errechnen sich die Rentenansprüche als: 39•1 EP + 0,8 •1 EP = 39,8 EP.
Die Monatsrente beträgt 1.083 Euro und ist damit um 0,5% geringer. Ist die Person ein zusätzliches Jahr arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld II (ALG II) berechnet sich der Rentenanspruch wie folgt:
38•1 EP + 0,8•1 EP + 12•205 Euro/30.879 Euroa) = 38+0,8+0,08=38,88 EP.
Die Monatsrente beträgt dann 1.058 Euro. Das sind 2,8% weniger als ohne Arbeitslosigkeit.
Davon sind 2,3 Prozentpunkte alleine auf das eine Jahr des ALG II-Bezugs zurückzuführen.
5 Jahre ALG II-Bezug reduzieren die Rente auf 957 Euro oder 12% weniger als ohne Arbeitslosigkeit.

a) Durchschnittseinkommen im Jahr 2009 (vorläufig).

Soll die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung ausgebaut werden?

Nein, und zwar aus drei Gründen.
Seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen, die hauptsächlich auf Arbeiter und Angestellte abzielende Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) zu einer „Erwerbstätigenversicherung“ auszubauen. Konkret bedeutet dies, den Versichertenkreis der GRV um Beamte und Selbständige zu erweitern. Diese Bestrebungen sind auf drei Arten motiviert: Erstens geht es darum, bestimmte Personengruppen vor Altersarmut zu bewahren; zweitens sollen bestimmte Erwerbstätigengruppen einbezogen werden, um die finanzielle Situation der Gesetzlichen Rentenversicherung zu verbessern. Drittens will man durch die Einbeziehung aller Erwerbstätigen eine größere Gleichbehandlung erreichen. Während die beiden letztgenannten Motive besonders für die Einbeziehung der Beamten und wohlhabenden Selbständigen eine Rolle spielen, ist das erste Motiv mit Blick auf die Gruppe der Selbständigen ohne Absicherung in einem obligatorischen System zu finden.
Unter den nicht obligatorisch abgesicherten Selbständigen wird ein hoher Anteil mit geringem Einkommen vermutet, denen später Altersarmut droht. Denn diese geringen Einkommen lassen eine ausreichende Altersvorsorge kaum zu, so dass diese Selbständigen im Alter auf die Hilfe des Staates angewiesen sein dürften. Dieser Sachverhalt ist deshalb in den Vordergrund gerückt, weil in den vergangenen Jahren eine starke Zunahme der Anzahl der sog. Soloselbständigen, also Selbständige ohne Mitarbeiter, zu verzeichnen war. Von diesen Soloselbständigen wird vermutet, dass sie geringe Einkommen haben und nicht abgesichert sind, weshalb mit ihrer Zahl auch das Problem einer später drohenden Altersarmut von Selbständigen zunimmt. Ob diese Zusammenhänge tatsächlich zutreffen, ist aufgrund einer dürftigen Datenlage umstritten. Auswertungen der SAVE-Studie zeigen, dass bei etwa ein Zehntel der Selbständigen das Einkommen nicht ausreicht, um einen Betrag zu sparen, der ein Alterseinkommen in Höhe der Grundsicherung gewährleistet.
Die Befürworter einer obligatorischen Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung argumentieren zum einen mit den bestehenden Schutzbedürfnissen dieser Personengruppe, die ohne Absicherung von Altersarmut bedroht wäre. Als andere Seite der gleichen Medaille will sich der Staat vor zukünftigen Fürsorgeleistungen an diese Personengruppe schützen. Aus ökonomischer Sicht kann der staatliche Zwang zur Versicherung nur mit Marktversagen auf dem Versicherungsmarkt gerechtfertigt werden. Ein relevanter Marktversagensgrund könnte die irrationale Kurzsichtigkeit (Myopie) der Individuen sein, die aufgrund ihrer Gegenwartspräferenz die Altersvorsorge vernachlässigen. Zudem könnte mit dem sog. Trittbrettfahrerverhalten argumentiert werden, das dann zum Tragen kommt, wenn der Staat eine Grundsicherung gewährt und ein Individuum in Antizipation dieser Leistung auf Eigenvorsorge verzichtet und mehr konsumiert. Dies würde Individuen benachteiligen, die z.B. in der Erwerbsphase auf Konsum verzichtet haben, um im Alter nicht auf die staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Ein Versicherungszwang würde auch den Staat entlasten, der ansonsten für die Grundsicherung des Trittbrettfahrers aufkommen müsste. Letztlich spiegeln sich also die beiden Marktversagensgründe in dem pauschalen Argument der Schutzbedürftigkeit wider.
Selbst wenn für den oben genannten Anteil von einem Zehntel der Selbständigen ein Schutzbedürfnis festgestellt werden kann, ist damit allerdings noch nicht begründet, warum diese Personengruppe in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden soll. Ausreichend wäre dann eine „Vorsorgepflicht“ dieser Personen.

Auch mögliche finanzielle Entlastungseffekte für die GRV können zumindest in langfristiger Perspektive kein Argument sein. Macht man eine bisher nicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung abgesicherte Personengruppe bis zu einer bestimmten Altersgrenze von z.B. 50 Jahren in der Gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig, ergeben sich kurz- und mittelfristig Beitragssatzsenkungen, da die Beitragszahlungen sofort anfallen, die Leistungen für die neuen Versicherten indes erst allmählich eintreten, Altersrenten im betrachteten Beispiel frühestens nach 13 Jahren. Hat man also nur eine kurzsichtige Perspektive und will für eine bestimmte Zeit Beitragssatzsenkungen erzeugen, könnte man die Ausweitung des Versichertenkreises grundsätzlich erwägen. Im Zeitverlauf gelangen allerdings immer mehr der neu einbezogenen Versicherten ins Rentenalter, was Mehrausgaben verursacht und Beitragssatzsteigerungen hervorruft. Eine Ausweitung des Versichertenkreises der GRV bringt also nur vorübergehend eine Entlastung. Langfristig kann es sogar zu höheren Beitragssätzen kommen als ohne diese Ausweitung.
Für die Abschätzung der langfristigen Wirkungen kommt es darauf an, wie der neue Personenkreis hinsichtlich Altersstruktur, Einkommen, Kinderzahl, Lebenserwartung, Erwerbsunfähigkeit und Frühverrentung im Vergleich zur Gruppe der „Altversicherten“ charakterisiert ist. Haben die neuen Versicherten zum Beispiel bei sonst gleichen Merkmalen im Durchschnitt eine längere Lebenserwartung, ergibt sich im Vergleich zum Beitragssatzpfad im Status quo langfristig ein höherer Beitragssatz. Dies trifft für die Beamten zu. Ihre Einbeziehung in die Gesetzliche Rentenversicherung würde selbst bei völliger Abschaffung aller Vorzugsregeln für Beamte langfristig eine Quersubventionierung zuungunsten der Angestellten einführen. Man würde der GRV mit der Einbeziehung von Beamten also einen Bärendienst erweisen. Bei den Selbständigen sind die Unterschiede in den Eigenschaften nicht so gut erfasst wie bei Beamten; die Daten legen jedoch nahe, dass sie wie die Beamten im Durchschnitt länger leben. Finanzielle Entlastungseffekte für die GRV sind also höchst unwahrscheinlich.
Schließlich wird die Einbeziehung in die GRV mit Gleichbehandlungsgründen gerechtfertigt. In der Tat könnte man argumentieren, dass eine Gleichbehandlung zwischen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern einerseits und Beamten und Selbständigen andererseits derart erreicht werden kann, dass beide letztgenannte Gruppen mit der impliziten Steuer des Umlagesystems belastet werden. Diese Steuerlast wird also auf „breitere Schultern“ verteilt und damit die Last für die derzeitigen Versicherten in der GRV verringert. Soweit die potentiell neuen Personengruppen aber bereits über eine kapitalgedeckte und damit nachhaltig finanzierte Altersvorsorge verfügen, wäre es unsinnig, diese auf das demographieanfälligere Umlagesystem umzustellen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle drei Gründe für den Ausbau der GRV zu einer Erwerbstätigenversicherung bei näherem Hinsehen sich als nicht zwingend erweisen. Allenfalls könnte eine „Vorsorgepflicht“ für Soloselbständige ohne Absicherung gerechtfertigt werden. Dabei ist zu bedenken, dass eine solche Vorsorgepflicht einen sehr starken Staatseingriff darstellt, der auf seine Verhältnismäßigkeit überprüft werden müsste.

Auch stellt sich die Frage, inwieweit die Vorsorgepflicht insbesondere bei den Beziehern niedriger Einkommen einen negativen Anreiz auf die Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit bedeutet. So ist zu vermuten, dass es einige der selbständigen Tätigkeiten nur deshalb gibt, weil die Sozialversicherungsfreiheit besteht. Insofern kann die Sozialversicherungsfreiheit als Subvention dieser selbständigen Tätigkeiten aufgefasst werden. Würde man die Subventionierung durch die Versicherungspflicht wegnehmen, würde diese Tätigkeit wahrscheinlich verschwinden. Dabei wäre der beste Fall noch, wenn ein ehemals Selbständiger nun einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachginge. Andere Alternativen wären die Arbeitslosigkeit und der Empfang von Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Schwarzarbeit. In den beiden letztgenannten Ausweichreaktionen hätte man im Hinblick auf die Vermeidung von Altersarmut nichts erreicht. Im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld II würden zudem nicht nur zukünftige Steuerzahler, die die Grundsicherung im Alter aufbringen müssten, sondern auch die heutigen Steuerzahler belastet, die die ALG II-Leistungen finanzieren müssen. Letztlich muss zwischen diesen Konsequenzen der Versicherungspflicht und den Konsequenzen der bestehenden Sozialversicherungsfreiheit abgewogen werden. Vor dem Hintergrund, dass die Einführung einer Vorsorgepflicht die Menschen stark in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränkt, sollte geprüft werden, ob das gleiche Ziel, nämlich eine Ausweitung der Altersvorsorge der Selbständigen zu erzeugen, nicht auch durch andere Maßnahmen wie beispielsweise eine stärkere Förderung für Soloselbständige erreicht werden könnte.

Literatur:

  • Gasche, Martin; Rausch, Johannes (2012): Auswirkungen einer Versicherungspflicht der Selbständigen in der Gesetzlichen Rentenversicherung.
    MEA Discussion Paper 12-2012.
  • Ziegelmeyer, M. (2009). Das Altersvorsorge-Verhalten von Selbständigen – eine Analyse auf Basis der SAVE-Daten,
    MEA-Diskussionspapier 187-09, Mannheim.

Was bedeutet Kurzarbeit für die Einkommen der Arbeitnehmer, für die Rentenansprüche und die Finanzen der Sozialversicherungen?

Zur Abfederung der Auswirkungen der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Kurzarbeit und damit das von der Bundesagentur für Arbeit gezahlte Kurzarbeitergeld stark an Bedeutung gewonnen. Überschlägige Berechnungen gehen derzeit von 1,4 Millionen Kurzarbeitern in Deutschland aus. Um die stabilisierende Wirkung der Kurzarbeit zu vergrößern und zeitlich zu verlängern, hat die Bundesregierung den Zugang zum Kurzarbeitergeld erleichtert, den Zugang auf Leiharbeiter erweitert und die zeitliche Befristung für die Zahlung von Kurzarbeitergeld mehrmals verlängert. Im Folgenden werden die Auswirkungen der Kurzarbeit und des Kurzarbeitergeldes auf die Einkommen der Arbeitnehmer, auf deren Rentenansprüche und auf die Finanzen der Sozialversicherungen dargestellt.

Was ist Kurzarbeitergeld?

Kurzarbeitergeld ist eine Leistung der Bundesagentur für Arbeit mit dem Ziel, kurzzeitige Krisen am Arbeitsmarkt zu überbrücken. Denn Kurzarbeitergeld ermöglicht es dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer auch dann weiterhin zu beschäftigen, wenn konjunkturell bedingt weniger Aufträge zu Arbeitsausfällen führen. Statt Arbeitnehmer zu entlassen, kann der Arbeitgeber bei der Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeit beantragen und somit eine Weiterbeschäftigung gewährleisten. Der Arbeitgeber zahlt dann nur noch den Lohn gemäß der verkürzten Arbeitszeit und die Bundesagentur für Arbeit zahlt Kurzarbeitergeld, um den Verdienstausfall für den Arbeitnehmer abzumildern. Kurzarbeitergeld kann in jedem Umfang beantragt werden – unabhängig davon, ob der Arbeitsausfall Stunden, Tage oder sogar Wochen betrifft. Im Falle von „Kurzarbeit null“ wird die Arbeit vollständig eingestellt und der Verdienst des Arbeitnehmers besteht entsprechend nur aus dem durch die Bundesagentur für Arbeit ausgezahlten Kurzarbeitergeld.

Neben dem konjunkturell bedingten Kurzarbeitergeld gibt es das Saison-Kurzarbeitergeld, welches im Winter bei saisonalen Arbeitsausfällen im Baugewerbe gewährt wird, und das Transfer-Kurzarbeitergeld im Falle betrieblicher Restrukturierungsmaßnahmen. Aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage stehen das konjunkturell und das saisonal bedingte Kurzarbeitergeld im Mittelpunkt der Beschäftigungspolitik. Durch das „Konjunkturpaket II“ sowie „Kurzarbeitergeld plus“ sind neue Regelungen für das konjunkturell bedingte Kurzarbeitergeld eingeführt worden.

Höhe des Kurzarbeitergeldes – Auswirkungen auf das verfügbare Einkommen des Arbeitnehmers
Bei Kurzarbeit setzt sich das Einkommen des Arbeitnehmers grundsätzlich zusammen aus dem vom Arbeitgeber gezahlten Lohn für die reduzierte Arbeitszeit und dem Kurzarbeitergeld. Das Kurzarbeitergeld beträgt entweder 60 Prozent (für kinderlose Arbeitnehmer) oder 67 Prozent (für einen Arbeitnehmer mit Kind(ern)) des durch die verkürzte Arbeitszeit ausgefallenen Nettoentgeltes, der so genannten Nettoentgeltdifferenz. Entscheidend für die Berechnung dieser Nettoentgeltdifferenz ist nicht das tatsächliche Nettoentgelt, sondern ein durch pauschalierte Abzüge ermitteltes Nettoentgelt. Dabei wird das Bruttoentgelt um eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 Prozent, der Lohnsteuer nach der jeweiligen Lohnsteuerklasse sowie um den Solidaritätszuschlag vermindert. Darüber hinaus wird auch der Kinderfreibetrag berücksichtigt. Dies ergibt dann jeweils das pauschalierte Nettoentgelt. Die „Nettoentgeltdifferenz“ wird ermittelt, indem aus dem Bruttoentgelt des Arbeitnehmers, welches dieser ohne den Arbeitsausfall verdient hätte (Soll-Entgelt) und dem infolge des Arbeitsausfalls geminderten Bruttoentgelts (Ist-Entgelt) jeweils das pauschalierte Nettoentgelt errechnet und dann die Differenz gebildet wird. Diese Nettoentgeltdifferenz wird mit 0,6 bzw. 0,67 multipliziert, damit sich das zu zahlende Kurzarbeitergeld ergibt.

Praktisch wird das zu zahlende Kurzarbeitergeld anhand von Kurzarbeitergeldtabellen ermittelt. In diesen Tabellen wird – differenziert nach Lohnsteuerklasse – einem Bruttoeinkommen ein Kurzarbeitergeld für den Fall zugeordnet, dass das Einkommen des Kurzarbeiters nur aus Kurzarbeitergeld besteht, der Arbeitgeber also keinen Lohn mehr zahlt („Kurzarbeit null“). Beträgt die Kurzarbeitszeit nicht null, bezieht der Kurzarbeiter für seine reduzierte Arbeitszeit also noch einen Lohn von seinem Arbeitgeber, dann wird der diesem Bruttolohn in der Tabelle zugeordnete Leistungssatz vom Leistungssatz beim ursprünglichen Bruttoentgelt abgezogen. Diese Differenz ist das zu zahlende Kurzarbeitergeld.

Beispiel für die Berechnung
Ein Arbeitnehmer hat normalerweise ein Bruttoentgelt von 2.500 Euro, Steuerklasse III, mit einem Kind. Die Tabelle ordnet dem Bruttoentgelt (Soll-Entgelt) in Höhe von 2.500 Euro mit Steuerklasse III und mit einem Kind (Leistungssatz 1) einen Leistungssatz von 1.232,02 Euro zu. Bei Kurzarbeit null, also bei keinen Bruttolohnzahlungen durch den Arbeitgeber beträgt das Kurzarbeitergeld 1.232,02 Euro.
Arbeitet der Arbeitnehmer eine verkürzte Arbeitszeit und erhält dafür einen Lohn von beispielsweise nur noch 2.200 Euro brutto (Ist-Entgelt), wird der Leistungssatz, der in der Tabelle diesem Bruttoeinkommen zugeordnet wird (1.114,88 Euro) von dem für das Sollentgelt ausgewiesenen Leistungssatz abgezogen, also: 1.232,02 – 1.114,88 = 117,14. Somit wird dem Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld in Höhe von 117,14 Euro bezahlt.

Auszug aus der "Kurzarbeitergeldtabelle"

Insgesamt verliert bei Kurzarbeit ein Arbeitnehmer ohne Kind maximal 40 Prozent und ein Arbeitnehmer mit Kind(ern) 33 Prozent seines Nettolohns (Fall von „Kurzarbeit null“) und ist damit hinsichtlich des verfügbaren Einkommens genauso gestellt wie ein Bezieher von Arbeitslosengeld I. Zusätzliche Arbeitszeit und damit verbundene Lohnzahlungen stellen den Kurzarbeiter gegenüber dem Arbeitslosen aber entsprechend besser und zwar in Höhe von (1-0,6) bzw. (1-0,67) multipliziert mit dem durch die Arbeit erzielten zusätzlichen Nettoentgelt.

Für den Fall, dass der Lohn eines Arbeitnehmers trotz Kurzarbeit über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, bezahlt die Bundesagentur für Arbeit kein Kurzarbeitergeld. Damit gilt wie beim Arbeitslosengeld, dass bei Entgeltausfall eine Absicherung nur bis zu dem Entgelt besteht, bis zu dem Beiträge entrichtet werden.

Das Kurzarbeitergeld ist sozialversicherungs- und steuerfrei. Allerdings gilt der Steuerprogressionsvorbehalt: Am Jahresende wird zur Ermittlung des Steuersatzes das Kurzarbeitergeld zum versteuernden Einkommen hinzugerechnet. Wegen des progressiven Steuertarifs ergibt sich mit Kurzarbeitergeld ein höherer Steuersatz, der dann auf das eigentlich zu versteuernde Einkommen angewendet wird. Der Steuerzahlbetrag ist entsprechend höher.

Beide Lohnbestandteile, sprich der Lohn für die reduzierte Arbeitszeit zuzüglich des Kurzarbeitergeldes, werden vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer ausgezahlt. Die Bundesagentur für Arbeit erstattet dem Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld.

Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes
Kurzarbeitergeld konnte ursprünglich bis zu 6 Monate bezogen werden. Im Rahmen des Konjunkturpakets I wurde ab Januar 2009 die maximale Bezugsdauer auf 12, darauffolgend auf 18 Monate verlängert. Im Mai 2009 wurde beschlossen, die maximale Bezugsdauer ab dem 1. Juli 2009 nochmals auf 24 Monate zu verlängern. Die Verlängerung gilt für alle Beschäftigten, deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis Ende 2009 entsteht. Die Verlängerung gilt befristet bis 2010.

Auswirkungen der Kurzarbeit auf die Beitragseinnahmen der Sozialversicherungen
Grundsätzlich gilt, dass Kurzarbeiter weiterhin als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gelten, die soziale Absicherung in der Kranken-, Renten-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung bleibt somit bestehen. Zwar ist das Kurzarbeitergeld selbst sozialversicherungsfrei, es wird also nicht mit Beiträgen belegt, trotzdem werden für Kurzarbeiter Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Diese Beiträge setzen sich aus zwei Teilen zusammen:

  1. Beiträge auf das durch die Kurzarbeit verminderte Bruttoentgelt des Arbeitnehmers (Ist-Entgelt). Wie üblich leisten Arbeitnehmer und Arbeitgeber die auf dieses verminderte Bruttoentgelt zu entrichtenden Beiträge gemeinsam.
  2. Beiträge auf 80 Prozent für die Arbeitszeit, die durch die Kurzarbeit entfällt. Dies bedeutet, dass 80 Prozent der Differenz zwischen dem Soll-Entgelt (Bruttoentgelt ohne Kurzarbeit) und dem Ist-Entgelt, das für die verminderte Arbeitszeit gezahlt wird, verbeitragt werden. Die Höhe des Kurzarbeitergeldes spielt bei dieser Berechnung keine Rolle.

Beispiel: Ursprünglicher Bruttolohn (Soll-Entgelt) 2.500 Euro, Bruttolohn aufgrund der verminderten Arbeitszeit 2.200 Euro. Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge ist 0,8*(2.500-2.200)=240 Euro.

Die Bemessungsgrundlage für die Beiträge berechnet sich im Falle der Kurzarbeit damit nach folgender Formel:

 B=x•Y+0,8•(Y-xY)=(0,2•x+0,8)•Y mit

B: Beitragsbemessungsgrundlage,
Y: ursprüngliches Bruttoentgelt (Soll-Entgelt),
x: Anteil der noch geleisteten Arbeitszeit an der ursprünglichen Arbeitszeit,
xY: Bruttoentgelt bei Kurzarbeit (Ist-Entgelt)

Damit macht bei Kurzarbeit null (x=0) die Bemessungsgrundlage 80 Prozent der ursprünglichen Bemessungsgrundlage aus und entspricht damit der Bemessungsgrundlage im Falle der Zahlung von Arbeitslosengeld I. Der Beitragsausfall durch die Kurzarbeit beträgt mithin maximal 20 Prozent. Mit zunehmender Kurzarbeitszeit steigen die Bemessungsgrundlage und damit auch die Beitragseinnahmen proportional an. Wären beispielsweise alle der derzeit geschätzten 1,4 Mio. Kurzarbeiter von Kurzarbeit null (x=0) betroffen und geht man davon aus, dass diese Arbeitnehmer pro Kopf im Normalfall ein Einkommen (Soll-Entgelt) von durchschnittlich 30.000 Euro hätten, dann würde bei einer Kurzarbeitszeit von einem Jahr die Beitragsbemessungsgrundlage um 8,4 Mrd. Euro geringer ausfallen. Die Beitragseinnahmen z.B. für die Gesetzliche Rentenversicherung wären entsprechend um knapp 1,7 Mrd. Euro niedriger. Dabei handelt es sich aber um einen Extremfall, da nicht für alle Kurzarbeit null gilt. Tatsächlich wird derzeit die Arbeitszeit im Durchschnitt um etwa 1/3 reduziert (x=0,67), so dass die Beitragsgrundlage um 2,77 Mrd. Euro und z.B. die Einnahmen der Rentenversicherung rund 0,55 Mrd. geringer ausfallen.

Insgesamt sorgen also die Regelungen im Falle der Kurzarbeit dafür, dass die Beitragseinnahmen der Rentenversicherung und der Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung nicht zu stark betroffen sind.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Ausmaß der Kurzarbeit und Beitragsgrundlage

Auswirkungen auf die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung
Den begrenzten Einnahmeausfällen in den Sozialversicherungen stehen allerdings höhere Ausgaben der Arbeitslosenversicherung gegenüber. Diese bestehen aus den Zahlungen des Kurzarbeitergeldes und den Beitragszahlungen an die Sozialversicherungen. So kann der Arbeitgeber beantragen, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) bis zu 50 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge übernimmt. Dabei beziehen sich diese 50 Prozent nicht auf die Beiträge für das durch die Kurzarbeit reduzierte Bruttoentgelt (Ist-Entgelt) – diese Beiträge werden wie bisher paritätisch vom Arbeitnehmer undArbeitgeber gezahlt – sondern auf die Beitragszahlung auf das durch die Kurzarbeit entgangene Entgelt (Beitragsgrundlage: 80 Prozent der Differenz zwischen Soll- und Ist-Entgelt) (siehe Tabelle). Zudem ist vorgesehen, dass ab dem 1. Juli 2009 die BA ab dem 7. Kurzarbeitsmonat die vollen Beiträge, die auf 80 Prozent der Differenz zwischen Soll- und Ist-Entgelt erhoben werden, übernimmt. Im Falle von Kurzarbeit null würde die BA dann gleich hohe Beitragszahlungen leisten müssen wie im Falle der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde zudem beschlossen, dass es für die volle Beitragszahlung durch die BA ausreichend ist, wenn in einem Betrieb eines Unternehmens bereits sechs Monate Kurzarbeit geleistet wurden. Werden noch weitere Betriebe des Unternehmens auf Kurzarbeit umgestellt, muss in diesen Betrieben die 6-Monatsfrist nicht mehr eingehalten werden. Die Beiträge werden von der BA sofort übernommen. Dies begünstigt Großunternehmen, die mehrere Betriebsstätten haben und führt zu einer noch höheren Kostenbelastung der BA.

Tabelle: Beitragsfinanzierung bei Kurzarbeit

Beispiel
Arbeitnehmer mit einem Bruttoentgelt von normalerweise 2.500 Euro (Soll-Entgelt), Steuerklasse III und mit einem Kind. Durch die verkürzte Arbeitszeit verdient er nur noch 2.200 Euro brutto (Ist-Entgelt). Wie im obigen Beispiel gezeigt, beläuft sich das Kurzarbeitergeld in diesem Fall auf 117,14 Euro. Das Kurzarbeitergeld ist sozialversicherungsfrei. Die Entgeltdifferenz zwischen dem Soll- und Ist-Entgelt beträgt 300 Euro. Für diesen Betrag zahlt der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 80 Prozent, also für „fiktive“ 240 Euro. Demzufolge beläuft sich das sozialversicherungspflichtige Einkommen auf 2.200 Euro zuzüglich 240 Euro, dies sind 2.440 Euro (Tabelle). Auf diese Beitragsgrundlage werden Renten-versicherungsbeiträge in Höhe von 486 Euro entrichtet, wobei Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam 438 Euro aufbringen und Arbeitgeber und BA in den ersten 6 Monaten der Kurzarbeit gemeinsam 48 Euro. Nach Ablauf der 6 Monate trägt die BA die 48 Euro monatlich alleine.

Arbeiten die geschätzten 1,4 Mio. Kurzarbeiter nur noch 2/3 der Arbeitszeit (x=0,67), ergäbe sich bei einem Durchschnittseinkommen von 2.500 Euro monatlich (30.000 Euro jährlich) in den ersten 6 Monaten Beitragszahlungen der Arbeitslosenversicherung z.B. an die GRV von insgesamt 0,55 Mrd. Euro und an die GKV von 0,41 Mrd. Euro. Für die darauffolgenden 6 Monate Kurzarbeit würde entsprechend der doppelte Betrag fällig werden. Auf ein ganzes Jahr bezogen ergäben sich damit Ausgaben der BA in Höhe von 1,7 Mrd. Euro für die GRV und 1,2 Mrd. Euro für die GKV. Selbst wenn im Extremfall alle Kurzarbeit null hätten, wäre die Kurzarbeit immer noch günstiger als der Fall der Arbeitslosigkeit, da in dem Fall die BA nicht erst nach 6 Monaten, sondern sofort 100 Prozent der Beitragszahlungen leisten müsste.

Gefährlich und langfristig kostspielig für die gesamte Beitragszahlergemeinschaft ist die lange Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes dahingehend, dass dadurch eine neue Brücke in die Frühverrentung geschaffen werden könnte. So kann im Extremfall die Kurzarbeit 2 Jahre betragen. Für ältere Arbeitnehmer würde sich daran 24 Monate Bezugsdauer von Arbeitslosengeld anschließen, so dass faktisch vier Jahre vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben überbrückt wären, ohne dass man, wie sich zeigen wird, massive Verluste bei den Rentenansprüchen hinnehmen muss. Auswirkungen des Kurzarbeitergeldes auf die Rentenansprüche Durch die Regelung zur Beitragszahlung sollen zu hohe Einbußen in den Kassen der Sozialversicherungen verhindert werden. In der Rentenversicherung bewirkt diese Regelung zusätzlich, dass die Rentenansprüche der Arbeitnehmer im Vergleich zu einer Situation ohne Kurzarbeit nicht so stark reduziert werden.

Die Rentenansprüche werden im deutschen Rentensystem in Entgeltpunkten ausgedrückt. Die Anzahl der Entgeltpunkte (EP), die ein Arbeitnehmer in einem Jahr erwirbt, entspricht dabei dem Anteil seines Einkommens Y am jeweiligen Durchschnittseinkommen Durchschnittseinkommen Y : EP = Y / Y . Im Falle von Kurzarbeit wird nicht mehr auf das volle Einkommen Beiträge entrichtet sondern nur noch – wie oben gezeigt – auf das gemäß der geringeren Arbeitszeit reduzierte Einkommen. Zusätzlich werden 80 Prozent der Bruttoeinkommensdifferenz verbeitragt, so dass sich die Entgeltpunktzahl bei Kurzarbeit gemäß folgender Formel berechnet:

Formel Entgeltpunktzahl

Genauso wie bei den Beitragseinnahmen hängen die Verluste bei den Rentenansprüchen von der noch geleisteten Arbeitszeit ab. Bei Kurzarbeit null (x=0) betragen die Einbußen an Entgeltpunkten 20 Prozent. Sie reduzieren sich mit den geleisteten Arbeitsstunden proportional und zwar bei einer Erhöhung des Arbeitsanteils um 1 Prozentpunkt um 0,2 Prozentpunkte. Geht man von 40 Beitragsjahren aus, so macht sich ein Jahr der Kurzarbeit im Extremfall der „Kurzarbeit null“ in einer um 0,5 Prozentpunkte niedrigeren Monatsrente als ohne Kurzarbeit bemerkbar. Für den realistischen Fall einer Verkürzung der Arbeitszeit auf 2/3 (x=0,67) reduziert sich die Anzahl der nach in einem Jahr Kurzarbeit erworbenen Entgeltpunkte im Vergleich zur Situation ohne Kurzarbeit um 6,6 Prozent. Bezogen auf 40 Beitragsjahre macht das eine um weniger als 0,2 Prozentpunkte geringere Rente.

Beispiel
Für das oben genannte Beispiel eines Soll-Entgelts von 2.500 Euro und eines Ist-Entgelts von 2.200 Euro wird der Rentenanspruch dabei bei unterstellter Kurzarbeit von 12 Monaten folgendermaßen berechnet: Die gesamte Beitragsgrundlage von 2.440 Euro mal 12 Monate ergibt 29.280 Euro im Jahr. Daraus ergeben sich 0,95 erworbene Rentenentgeltpunkte (29.280 Euro geteilt durch 30.879 Euro). Dies entspricht einer monatlichen Rente in Höhe von 25,18 Euro (0,95 mal 26,56 Euro). Ohne Kurzarbeit errechnet sich der Rentenanspruch aus dem „normalen“ Bruttolohn von 2.500 Euro mal 12 Monate, dies sind 30.000 Euro im Jahr. Daraus ergeben sich 0,97 Rentenentgeltpunkte (30.000 Euro geteilt durch 30.879 Euro). Dies entspricht einer monatlichen Rente in Höhe von 25,76 Euro. Der Unterschied zur Situation ohne Rentenanspruch beträgt folglich 0,58 Euro oder 2,25 Prozent¹.

Das Schaubild verdeutlicht allgemein die Auswirkungen von Kurzarbeit auf die Entgeltpunkte. Deutlicht wird, dass durch Kurzarbeit nicht nur der Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit verschont bleibt, sondern sich dies auch auf die späteren Rentenansprüche auswirkt: Die während der Kurzarbeit erworbenen Rentenentgeltpunkte liegen höher als im Falle von Arbeitslosengeld I, sofern die Restarbeitszeit nicht null ist (Kurzarbeit null). Durch die „fiktive“ Rentenaufstockung werden also allzu hohe Rentenverluste vermieden.

Abbildung 2: Erworbene Rentenansprüche (Entgeltpunkte) bei einem Jahr Kurzarbeit²

Auswirkungen des Kurzarbeit auf die Rentenanpassung
Neben den Auswirkungen auf die individuellen Rentenansprüche ergibt sich ein indirekter Einfluss der Kurzarbeit auf die Rentenanpassung und damit auf die Rentenentwicklung der derzeitigen Rentner. Denn die jährliche Rentenanpassung orientiert sich über die sog. Rentenanpassungsformel an der Entwicklung der Bruttolöhne und die Kurzarbeit bewirkt, dass die für die jährliche Rentenanpassung maßgeblichen Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer tendenziell geringer ausfallen und damit eine geringere Rentenerhöhung oder sogar eine Rentenkürzung möglich wird. Arbeiten beispielsweise 5% der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer kurz mit nur noch 2/3 der Arbeitszeit, so bewirkt das für sich genommen eine Reduktion der Durchschnittslöhne um 1,65%.
Wegen dieses Effekts der Kurzarbeit und wegen der schlechten konjunkturellen Lage besteht die Möglichkeit, dass die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer im Jahr 2009 sinken und damit im Jahr 2010 eine Rentenkürzung vorgenommen werden muss. Um dies zu vermeiden, hat die Bundesregierung nun ein Rentenkürzungsverbot erlassen, das mit einem Grundprinzip der Rentenversicherung bricht, nämlich dass die Renten der Lohnentwicklung folgen. Die Konsequenz ist eine Umverteilung von Jung zu Alt, da diese Rentengarantie letztlich durch höhere Beiträge der jüngeren Erwerbstätigen finanziert werden muss. Zudem ist dieses Rentenkürzungsverbot auch deshalb überflüssig, weil es bei einer konjunkturellen Erholung und einem damit verbundenen Abbau der Kurzarbeit zu einem Ausschlag der Löhne in die entgegen gesetzte Richtung kommt, was zu entsprechend starken Rentenerhöhungen führt.

¹ Dem Beispiel liegen die Renten-Berechnungswerte West 2009 zugrunde
² Berechnungen beruhen auf den Renten-Berechnungswerten West 2009

 

Ist die kapitalgedeckte Altersvorsorge trotz Finanzkrise wichtig, sinnvoll und rentierlich?

Die Finanzkrise hat zu Wertverlusten bei vielen Kapitalanlagen geführt. Auch die private kapitalgedeckte Altersvorsorge ist von diesen Wertverlusten betroffen. Allerdings sind die Wertverluste wegen des langfristigen Charakters der Altersvorsorge in der Regel von geringerer Tragweite, da für die meisten noch genügend Zeit bleibt, um erlittene Wertverluste nach der Krise wieder aufzuholen. Nichtsdestotrotz wird sich die Finanzmarktkrise bei vielen in einer geringeren Rendite ihrer privaten Altersvorsorge niederschlagen.

Aus diesen negativen Auswirkungen der Finanzkrise auf die kapitalgedeckte Altersvorsorge die Forderung nach einer „Restauration des Umlagesystems“ abzuleiten, greift jedoch zu kurz. Denn das Umlagesystem ist selbst negativ von der Finanzkrise betroffen, da die konjunkturelle Schwächephase durch die Ausweitung der Kurzarbeit, die steigende Arbeitslosigkeit und einem tendenziell schwächeren Lohnwachstum die Beitragseinnahmen reduziert. Damit werden im Vergleich zu einer Situation ohne Krise Beitragssatzerhöhungen und/oder geringere Rentensteigerungen wahrscheinlicher. Denn wenn die Renten so wie geplant ansteigen sollen, müssen bei geringeren Beitragseinnahmen die Beitragssätze ansteigen. Umgekehrt müssen die Rentenansprüche langsamer ansteigen oder gar gekürzt werden, wenn der Beitragssatz wie vor der Krise geplant verlaufen soll, aber das Volumen der Beitragseinnahmen sinkt. So oder so: Die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung wird dadurch sinken, unter Umständen sogar noch stärker als die der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge. Denn anders als bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge ist der eben angesprochene Effekt dauerhaft, da alle zukünftigen Rentenanpassungen auf diesem aufgrund der Finanzkrise niedrigerem Niveau aufsetzen müssen.

Zudem darf vor dem Hintergrund der Finanzkrise der eigentliche und nach wie vor vorhandene Grund für die in den vergangenen Jahren begonnen Stärkung der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge nicht aus den Augen verloren werden: Nur die Kapitaldeckung ist dazu geeignet, die Lasten der demographischen Entwicklung anders über die Zeit und damit über die Generationen zu verteilen. Denn durch die Alterung entstehen Lasten, sei es im Steuersystem oder in den umlagefinanzierten Sozialsystemen: Eine immer kleiner werdende Schar jüngerer Nettozahler (vor allem die Kinder der Babyboom-Generation) muss für die relativ wachsende Zahl der älteren Nettoempfänger (vor allem die Babyboomer, die in 10 bis 20 Jahren selbst Rentner werden) aufkommen. Die Belastung der Jungen und ihrer Kinder steigt mithin an. Die einzige Möglichkeit, sie zu entlasten, besteht darin, die Babyboomer selbst an den Kosten ihrer eigenen Altersversorgung zu beteiligen. Im Klartext: die Babyboomer müssen, solange sie erwerbstätig sind, selbst etwas auf die hohe Kante legen, damit sie im Alter nicht nur auf die von ihren Kindern finanzierte gesetzliche Rente angewiesen sind. Kapitaldeckung ist also das einzige Instrument, die Lasten des demographischen Wandels anders zu verteilen – über die Zeit und über die Generationen. Dieser Beitrag der privaten Altersvorsorge zur Bewältigung der demographischen Herausforderungen ist ein zentraler und von der Finanzkrise völlig unabhängiger Grund, warum die private kapitalgedeckte Altersvorsorge von so großer Bedeutung ist. Von dieser Warte aus gesehen ist im Übrigen auch die der kapitalgedeckten Altersvorsorge zugeschriebene höhere Rendite eher von zweitrangiger Bedeutung – diese höhere Rendite dürfte aber, wie oben beschrieben, trotz aller durch die Finanzkrise verursachten Wertverluste, weiterhin bestehen bleiben.

MEA-Stellungnahme zum kategorischen Rentenkürzungsverbot

Die Wirtschaftskrise hat zur Folge, dass die betragspflichtigen Einkommen sinken könnten, was allen Sozialversicherungszweigen auf der Einnahmeseite Probleme bereitet. Für die Rentenversicherung hat ein möglicher Rückgang der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer zusätzlich zur Folge, dass damit laut Gesetz Rentenkürzungen, also eine Kürzung der nominalen Rentenzahlbeträge, möglich würden. Denn ein Grundprinzip der Rentenversicherung besteht darin, dass die Renten grundsätzlich der Lohnentwicklung folgen. In guten Zeiten bedeutet dies, dass die Rentner am Produktivitätsfortschritt und der Erhöhung des Wohlstandes partizipieren. Umgekehrt bedeutet es aber auch, dass die Renten tendenziell auch den sinkenden Löhnen folgen müssten, nicht zuletzt, um die finanzielle Balance der Rentenversicherung nicht zu gefährden.

Mit diesem Grundprinzip der Rentenversicherung hat der Bundesarbeitsminister nun gebrochen, indem er Rentenkürzungen für das nächste Jahr und alle folgende Jahre kategorisch ausschließt. Die Folge wäre letztlich eine Belastung der jüngeren Generationen, weil sie in Form von höheren Beiträgen für die – im Vergleich zur Anwendung der geltenden Gesetzeslage – höheren Ausgaben aufkommen müssten. Würden nicht die Beiträge sondern die Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherung erhöht, wäre ebenfalls die junge Generation betroffen. Denn diese Bundeszuschüsse müssten entweder durch höhere Steuern oder höhere Staatsschulden finanziert werden. Höhere Steuern heute müssten aber zum größten Teil von den jüngeren Generationen aufgebracht werden und höhere Staatsschulden müssten von den heute jungen bzw. von zukünftigen Generationen bedient werden. Egal, wie man es dreht und wendet: Das Rentenkürzungsverbot ist nicht nur ein Bruch mit einem Grundprinzip der Rentenversicherung, sondern es bedeutet auch eine deutlich spürbare Umverteilung von Jung zu Alt.

Hinzu kommt, dass mit diesem Beschluss die Rentenreformen der letzten Jahre ad absurdum geführt werden. Denn diese hatten mit dem Riester-Faktor (2001) und dem Nachhaltigkeitsfaktor (2004) ja zum Ziel, das Rentenniveau graduell zu senken, um die Rentenversicherung zukunftsfähig zu machen. Was nun passiert, ist genau das Gegenteil: Das Rentenniveau steigt an. Sinkt beispielsweise das Durchschnittseinkommen der Beitragszahler um 2%, bedeutet dies bei konstanten Renten eine Erhöhung des Rentenniveaus um 1 Prozentpunkt. Letztlich werden damit vergangene schwer errungene Reformfortschritte zunichte gemacht und – da die Folgen der demographischen Entwicklung immer näher auf uns zukommen – die Rentenversicherung insgesamt destabilisiert.

An diesem Befund kann die Ankündigung, die unterbliebenen Rentenkürzungen ab 2011 nachzuholen, nur scheinbar etwas ändern. Denn die Ankündigung des Nachholens wird mit jedem neuen Eingriff in die Rentenanpassungsregelung unglaubwürdiger. So wurde 2007 ein Nachholen der in den Jahren 2005 und 2006 wegen Anwendung der derzeit schon gültigen Schutzklausel unterbliebenen Rentenkürzungen ab dem Jahr 2011 beschlossen. Im Jahr 2008 hat man mit der Aussetzung des Riester-Faktors, noch bevor das erste beschlossene Nachholen wirken konnte, einen weiteren Nachholtatbestand geschaffen. Damit würden nun ab 2011 ein Nachholen der unterbliebenen Rentenkürzungen 2005 und 2006, ein Nachholen des 2008 und 2009 ausgesetzten Riester-Faktors und ein Nachholen der 2010 unterbliebenen Rentenkürzungen anstehen. Dass dies politisch durchsetzbar sein wird, kann in Anbetracht der Tatsache, dass spätestens 2013 wieder gewählt wird, angezweifelt werden.

Sollte die Zweiteilung des deutschen Rentensystems nach Ost- und Westdeutschland abgeschafft werden?

Ja.
Neunzehn Jahre nach der deutschen Einheit ist die Gesetzliche Rentenversicherung noch immer nach den Gebietsständen Ostdeutschland und Westdeutschland getrennt. Die Unterschiede zeigen sich auf der Einnahmenseite in unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrenzen und auf der Ausgabenseite in unterschiedlichen Regelungen zur Rentenberechnung und Rentenanpassung. So ist in Ostdeutschland der aktuelle Rentenwert geringer als in Westdeutschland. Der aktuelle Rentenwert wird zwar in beiden Landesteilen nach der gleichen Rentenanpassungsformel erhöht, es werden aber bei der Anwendung der Formel regionsspezifische, also unterschiedliche Lohnsteigerungsraten zugrunde gelegt. Zudem gibt es für die Ostrenten einen sog. Umrechnungsfaktor, der die im Osten erworbenen Entgeltpunkte höher bewertet. Dieser Umrechnungsfaktor entspricht dem Verhältnis des Durchschnittseinkommens im Westen zum Durchschnittseinkommen im Osten.

Die Idee hinter der Kombination aus niedrigerem aktuellen Rentenwert in Ostdeutschland, unterschiedlichen Rentenanpassungen und Höherbewertung der Entgeltpunkte im Osten war die Vermutung, dass es zu einer Angleichung der Löhne zwischen Ost und West kommt, dass also in Ostdeutschland die Löhne in einer Konvergenzphase stärker wachsen als im Westen, dies zu höheren Rentenanpassungsraten im Osten und damit auch zu einem stärker wachsenden ostdeutschen aktuellen Rentenwert führt. Die aktuellen Rentenwerte würden sich also angleichen und gleichzeitig würde wegen der allmählichen Angleichung der Durchschnittseinkommen der Umrechnungsfaktor sinken. Wäre ein einheitliches Lohnniveau in Ost und West erreicht, stimmten idealerweise auch die aktuellen Rentenwerte überein und eine Zweiteilung des Rentensystems wäre ab dann überflüssig. Diese Vermutung hat sich aber nicht bestätigt. Vielmehr kann man schon seit einigen Jahren die hier unterstellte Lohnkonvergenz zwischen Ost und West nicht mehr beobachten. Derzeit beträgt das Durchschnittseinkommen im Osten ca. 85% des Westniveaus. Der aktuelle Rentenwert Ost hat schon 88% des Westniveaus erreicht. Die Durchschnittsrenten dagegen sind im Osten aufgrund der beschriebenen Höherwertung, vor allem aber auch aufgrund der durchgängigeren DDR-Erwerbsbiographien, höher als im Westen.

Angesichts des seit Jahren kaum mehr voranschreiten den Aufholprozesses wird die Rechtfertigung für die Zweiteilung des Systems immer schwieriger und die mit der Zweiteilung verbundenen Ungleichbehandlungen geraten immer mehr in die Kritik. Eine Ungleichbehandlung besteht darin, dass Versicherte mit dem gleichen Einkommen in Ost und West eine unterschiedlich hohe Anzahl an Entgeltpunkten erwerben. Denn der Umrechnungsfaktor bewirkt, dass sich die in einem Jahr erworbene Entgeltpunkzahl für Versicherte in Ostdeutschland aus der Relation des individuellen Einkommens zum Durchschnittseinkommen Ost ergibt. Weil das Durchschnittseinkommen im Osten geringer ist als im Westen, erhält ein Versicherter im Osten bei gleichem Einkommen mehr Entgeltpunkte als ein Versicherter im Westen. Zwar wird diese höhere Entgeltpunktezahl mit einem niedrigeren aktuellen Rentenwert Ost „bewertet“, im Ergebnis erwirbt aber ein Versicherter im Osten bei gleichem Einkommen höhere Rentenansprüche als ein Versicherter in Westdeutschland.

Diese Ungleichbehandlung gleicher Einkommen zu rechtfertigen, fällt 20 Jahre nach dem Mauerfall schwer, wenn man bedenkt, dass es im Westen ebenfalls einkommensschwache Regionen gibt, die aber keine Sonderregelung bei der Entgeltpunkteberechnung bekommen. Ein niedrigeres Einkommensniveau, z.B. in Schleswig Holstein, führt dort nicht zu einer Aufwertung der Entgeltpunkte, in den neuen Bundesländern dagegen schon. Seit 1999 beobachten wir eine in etwa stabile Relation der Durchschnittslöhne Ost zu den Durchschnittslöhnen West von etwa 1:1,2. Dies entspricht ähnlich stabilen Verhältnissen innerhalb der alten Bundesländer. So beträgt z.B. die Relation zwischen den Durchschnittslöhnen in Schleswig-Holstein und Hessen seit Jahren auch etwa 1:1,2. Bedenkt man zudem noch, dass es auch innerhalb Ostdeutschlands große Unterschiede in den Einkommensniveaus gibt und dass es bei Betrachtung der Kreisebene durchaus Kreise in Ostdeutschland gibt, die ein höheres Einkommensniveau haben als Kreise in Westdeutschland, dann ist die pauschale Regionalisierung der Rentenberechnung in Ost und West nur noch schwerer zu begründen.

Geht man also davon aus, dass der Konvergenzprozess in Ostdeutschland weitgehend abgeschlossen ist, die durchschnittliche Wirtschaftskraft in Ostdeutschland mithin dauerhaft etwas unter dem Durchschnitt im Westen liegen wird und akzeptiert, dass unterschiedliche Regionen in Deutschland eine unterschiedliche Wirtschaftskraft haben, dann erscheint eine Gleichbehandlung der Regionen angebracht, unabhängig davon, ob diese in Westdeutschland oder Ostdeutschland liegen.

Der Sachverständigenrat (SVR) hat nun im Jahresgutachten 2008/09 eine Vereinheitlichung der Rentenberechnung in Deutschland vorgeschlagen. Danach soll künftig ein einheitlicher gesamtdeutscher aktueller Rentenwert gelten und die Rentenanpassung nach Maßgabe der gesamtdeutschen Lohnentwicklung erfolgen. Die Entgeltpunktbemessung ergibt sich schließlich aus dem Verhältnis des individuellen Einkommens zum gesamtdeutschen Durchschnittseinkommen.

Grundsätzlich ist der Vorschlag des SVR eine adäquate Vorgehensweise, um die Integration der beiden Rentensysteme Ost und West zu bewerkstelligen. Natürlich kann eine solche Reform zu Umverteilungseffekten zwischen den Rentnern in Ost und Westdeutschland und zwischen Rentnern und Beitragszahlern, also zwischen Jung und Alt führen. Wie groß diese Umverteilung ausfällt, hängt von der zukünftigen Lohnentwicklung im Osten im Vergleich zur Entwicklung in Westdeutschland bzw. Gesamtdeutschland ab. Denn dies bestimmt den Unterschied zwischen einer für Ost und West gesonderten Rentenanpassung im Vergleich zu einer gesamtdeutschen Rentenanpassung. Eine Studie des MEA zeigt, dass sich im Falle eines realistischen Lohnszenarios, bei dem die Lohneinkommen in Ost und West zukünftig jeweils mit der gleichen Rat e wachsen, der Konvergenzprozess der Lohnniveaus also abgeschlossen ist, bei Umsetzung des SVR-Vorschlags für die Rentner kaum Umverteilungseffekte ergeben. Auch für die Finanzen der Rentenversicherung wäre eine solche Umstellung neutral. Kommt es dagegen zu einer – aus heutiger Sicht unwahrscheinlichen – weiteren Angleichung des Lohnniveaus im Osten an das Westniveau, wäre eine Realisierung des SVR-Vorschlags mit Belastungen der Rentner im Osten und Entlastungen der Rentner im Westen im Vergleich zur Situation ohne Reform verbunden. Diese Be- und Entlastungen sind allerdings keine echten Rentenkürzungen, sondern drücken sich in geringeren bzw. höheren Rentensteigerungen im Vergleich zu den Rentensteigerungen ohne Reform aus. Auf den Beitragssatz der Rentenversicherung hätte auch dieses Szenario keine Auswirkungen, da sich die Be- und Entlastungen der Rentner gerade kompensieren.

Literatur:

  • Börsch-Supan et al. (2009): Ein einheitliches Rentensystem für Ost- und Westdeutschland – Simulationsrechnungen zum Reformvorschlag des Sachverständigenrates, MEA-Diskussionspapier 174-09.
  • Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2008): Jahresgutachten 08/09.

Ist der „Nachhaltigkeitsfaktor“ letztlich nur ein neuer Name für den von der Bundesregierung nach ihrer Wahl 1998 außer Kraft gesetzten „demographischen Faktor“?

Nein. Korrekt ist zwar, dass auch der Nachhaltigkeitsfaktor die jährliche Rentenanpassung an die demographische Entwicklung bindet. Der frühere “demographische Faktor” sollte jedoch lediglich die steigende Lebenserwartung berücksichtigen. Der Nachhaltigkeitsfaktor setzt im Gegensatz dazu am zahlenmäßigen Verhältnis von Leistungsempfängern zu Beitragszahlern an und enthält somit neben der Entwicklung der Bevölkerung, die durch Geburten, Lebenserwartung und Migration bestimmt ist, auch die Entwicklung der Erwerbstätigkeit. Er wirkt daher deutlich stabilisierender als der von der Bundesregierung nach ihrer Wahl in 1998 außer Kraft gesetzte „demographische Faktor“.

Dies wird deutlich, wenn man sich klar macht, dass sich der Beitragssatz in einer umlagefinanzierten Rentenversicherung vereinfacht betrachtet letztlich aus dem Produkt aus Rentenniveau (Durchschnittsrente dividiert durch Durchschnittseinkommen) und Rentnerquotient (Anzahl der Rentner dividiert durch Anzahl der Beitragszahler) ergibt. Zu einer Beitragssatzerhöhung kommt es bei gegebenem Rentnerquotienten immer dann, wenn das Rentenniveau steigt und bei gegebenem Rentenniveau immer dann, wenn der Rentnerquotient steigt. Nun steigt aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland eben dieser Rentnerquotient an: die Zunahme der Lebenserwartung und der Rückgang der Geburtenraten erhöht die Anzahl der Rentner und reduziert tendenziell die Anzahl der Beitragszahler, so dass sich eine Beitragssatzerhöhungsdruck ergibt.

Hier ist der Ansatzpunkt des Nachhaltigkeitsfaktors. Denn er enthält genau diesen Rentnerquotienten und bewirkt, dass die Renten im Vergleich zu den Einkommen weniger stark steigen, sobald der Rentnerquotient steigt. Damit setzt der Nachhaltigkeitsfaktor direkt am Grund für die Beitragssatzsteigerung an und sorgt automatisch dafür, dass eine Erhöhung des Rentnerquotienten zu einer Reduktion des Rentenniveaus führt und damit der Druck vom Beitragssatz genommen wird. Das System stabilisiert sich selbst.

Der demographische Faktor dagegen hätte nur indirekt gewirkt. Zwar hätte er bei einem Anstieg der Lebenserwartung auch zu einer Reduktion des Rentenniveaus geführt. Doch wäre der Zusammenhang zwischen den beiden Beitragssatzdeterminanten Rentenniveau und Rentnerquotient viel lockerer gewesen. Der selbsstabilisierende Effekt wäre viel kleiner ausgefallen.

Literatur:

  • Börsch-Supan, A. Reil-Held und C. Wilke (2003): Der Nachhaltigkeitsfaktor und andere Formelmodifikationen zur langfristigen Stabilisierung des Beitragssatzes zur GRV, MEA Discussion Paper Nr. 30-2003.
  • Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.) (2003): Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission vom 28.08.2003.

Wie kann die Erhöhung der Altersgrenzen in Anbetracht der Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmer überhaupt funktionieren?

Gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahren wird oft das Argument vorgebracht, es gäbe derzeit für ältere Arbeitnehmer kein Arbeitsmarktpotential. Dabei wird außer Acht gelassen, dass diese Maßnahme langfristig angelegt ist und auf die Arbeitsmarktsituation nach 2020 abzielt. Die Anhebung der Altersgrenzen wird mit dem Jahr 2012 beginnen und zunächst langsam über eine Erhöhung von einem Monat pro Jahr und anschließend zwei Monaten pro Jahr erfolgen, so dass sie erst im Jahr 2030 abgeschlossen sein wird. Der Geburtsjahrgang 1964 ist der erste Jahrgang, für den das Renteneintrittsalter von 67 Jahren gilt. Durch den Alterungsprozess der Bevölkerung wird sich die Arbeitsmarktsituation bis dahin stark verändern. Im Jahr 2030 wird es um mehr als 7 Millionen Menschen weniger im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 geben als heute. Man wird auf eine deutlich höhere Erwerbsbeteiligung der Älteren – und auch der Frauen – angewiesen sein. Die Veränderung der Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer ist daher eine wichtige Voraussetzung für den Arbeitsmarkt der Zukunft und für die Finanzierbarkeit der Renten. In der Vergangenheit wurden massive Anreize für einen frühen Renteneintritt gesetzt. Eine Änderung des Anreizsystems (z.B. die Abschaffung von Vorruhestandsregelungen oder die Einführung von Subventionen für die Einstellung älterer Arbeitnehmer) wird auch zu einer höheren Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer führen, denn noch immer kann ein Arbeitgeber einen beträchtlichen Teil der Kosten einer frühen Verrentung auf die Allgemeinheit abwälzen. Daneben sind aber auch Veränderungen in den Unternehmen notwendig, zum Beispiel die stärkere Förderung der lebenslangen Weiterqualifizierung.

Literatur:

  • Gruber, J. und D. Wise (1999): Social Security and Retirement Around the World, Chicago/London. Abschlussbericht der Kommission vom 28.08.2003.
  • Berkel, B. und A. Börsch-Supan (2003): Renteneintrittsentscheidungen in Deutschland: Langfristige Auswirkungen verschiedener Reformoptionen, MEA Discussion Paper 031-03, Universität Mannheim.
  • Berkel, B. und A. Börsch-Supan (2004), Pension Reform in Germany: The Impact on Retirement in Decisions. Finanzarchiv, Vol 60, No. 3, 393-421.
  • Berkel, B. (2006): Retirement Age and Preretirement in German Administrative Data, MEA Discussion Paper 107-06, Universität Mannheim.
  • Bucher-Koenen,T. und C. B. Wilke (2008): Zur Anhebung der Altersgrenzen: Eine Simulation der langfristigen Auswirkungen auf die gesetzliche Rentenversicherung bei unterschiedlichem Renteneintrittsverhalten, MEA Discussion Paper 159-08, Universität Mannheim.

Sollte die Beitragsbemessungsgrenze der Gesetzlichen Rentenversicherung angehoben werden?

Nein. Bis zum Jahr 2003 wurde die Beitragsbemessungsgrenze grundsätzlich jährlich nach Maßgabe der Bruttolohnentwicklung angepasst. Aufgrund der zunehmenden Finanzlast der Rentenversicherung, wurde sie zum Januar 2003 jedoch erstmalig diskretionär deutlich stärker angehoben, nämlich um mehr als 13%, von 4.500 Euro auf 5.100 Euro. Gerechtfertigt wurde diese Anhebung mit dem Ziel, dadurch ein weiteres Ansteigen des Beitragssatzes zu vermeiden. Wie bei der Ausweitung des Versichertenkreises ist jedoch auch hier zu berücksichtigen, dass eine höhere Beitragsbemessungsgrenze zwar zunächst höhere Einnahmen für die Rentenversicherung verspricht, langfristig jedoch Mehrbelastungen impliziert, da die höheren Beitragszahlungen zu zusätzlichen Rentenansprüchen führen, die später als Renten finanziert werden müssen. Hinzu kommt, dass die zusätzlichen Rentenansprüche von Beziehern hoher Einkommen erworben werden, die in der Regel eine überdurchschnittliche Lebenserwartung und damit eine überdurchschnittliche Rentenbezugsdauer haben. Damit kann diese Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze langfristig sogar zu einem höheren Beitragssatz führen.

Literatur:

  • Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2002, S. 133f.
  • Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.) (2003): Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission vom 28.08.2003.
  • Reil-Held, A. (2000): Einkommen und Sterblichkeit in Deutschland: Leben Reiche länger?, Beiträge zur angewandten Wirtschaftsforschung, 580-00.
  • von Gaudecker, H.-M. und R. D. Scholz (2006) Lifetime Earnings and Life Expectancy, MEA-Discussion Paper 102-06.

Sollte die Beitragsbemessungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung auf Kapital- und Mieteinkünfte ausgeweitet werden?

Nein.
In der Presse wird oft argumentiert, dass eine Ausweitung der Beitragsbemessungsgrundlage zu höheren Einnahmen in der Rentenkasse führt und somit zu einer Stabilisierung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung beiträgt. Dass langfristig das Gegenteil der Fall sein kann, da diese zusätzlichen Beiträge auch zusätzliche Rentenansprüche nach sich ziehen, wurde bereits am Beispiel der Ausweitung des Versichertenkreises und der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze erläutert. Zusätzlich zu diesen Überlegungen sind bei der Ausweitung der Bemessungsgrundlage um Kapital- und Mieteinkünfte jedoch noch zwei weitere Aspekte wichtig:

  1. Die Belastung einer solchen Neuregelung beträfe einseitig die Arbeitnehmer, womit das Prinzip der paritätischen Finanzierung aufgegeben würde.
  2. Die Belastung würde vorwiegend mittlere Einkommen treffen, da bei Erwerbstätigen mit höherem Einkommen über oder nahe der Beitragsbemessungsgrenze die zusätzlich betrachteten Kapital- und Mieteinkünfte aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze nicht zu zusätzlichen Beiträgen führen.

Darüber hinaus würde eine solche Ausweitung der Bemessungsgrundlage einen erheblichen Verwaltungsaufwand bewirken, da die Beiträge der Arbeitnehmer hier nicht mehr vollständig vom Arbeitgeber abgeführt werden könnten, sondern individuell, bspw. vom Finanzamt, festgestellt werden müssten.

Literatur:
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.) (2003): Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission vom 28.08.2003.

Sollte das jetzige, beitragsfinanzierte Rentensystem auf ein steuerfinanziertes Grundrentensystem umgestellt werden?

Nein.
Hinter der Frage steckt die Überlegung, das aktuelle Rentensystem auf ein ganz neues System umzustellen und damit die aus dem demographischen Wandel resultierenden Probleme des Umlageverfahrens zu umgehen. Da das Grundrentenmodell eine einheitliche Grundrente im Alter vorsieht, die jedem unabhängig von seiner Bedürftigkeit gewährt wird (hier liegt ein ganz wesentlicher Unterschied zur bedarfsorientierten Grundsicherung im Alter, die im Rahmen der Riester-Reform eingeführt wurde!), ist es anstatt über Beiträge über allgemeine Steuermittel zu finanzieren. Geht man davon aus, dass die neue Grundrente unter dem heutigen Niveau der durchschnittlichen Rente liegen wird, wäre ein solches Grundrentensystem mit einer deutlich geringeren Abgabenlast als das derzeitige Umlageverfahren verbunden. Diese Überlegung vernachlässigt jedoch drei wichtige Aspekte:

  1. Eine Umstellung des Rentensystems auf ein anderes System bringt erhebliche Übergangsprobleme mit sich. Da die Rentenanwartschaften im deutschen Rentensystem eigentumsrechtlich geschützt sind, muss die Übergangsgeneration weiter für die bereits existierenden Rentenansprüche der älteren Generation aufkommen, während sie zugleich aufgrund der künftig reduzierten Leistungen des Grundrentensystems eine zusätzliche Vorsorge fürs eigene Alter aufbauen muss. Sie ist damit einer starken Doppelbelastung ausgesetzt.
  2. Da die Grundrente komplett über Steuern finanziert wird, entfällt im Grundrentensystem der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz der Renten (denn hierbei wird auf das Beitrags-/Leistungsverhältnis abgestellt), womit politisch die Gefahr einer „Rente nach Kassenlage“ besteht. Hinzu kommt ein weiterer Nebeneffekt: Im Gegensatz zu den Beiträgen, stehen den Steuern keine direkten Leistungen gegenüber. Da die indirekten Leistungen den Bürgern aber nicht vollständig ersichtlich sind, ist mit vermehrten Ausweichreaktionen zu rechnen (Steuerhinterziehung). Das „Trittbrettfahrerproblem“ wächst.
  3. Letztlich bildet auch das Grundrentensystem keine Lösung für die demographischen Probleme. Ebenso wie in der umlagefinanzierten Rentenversicherung ist auch für den Fortbestand des allgemeinen Steuersystems ein langfristig tragbares Verhältnis von Erwerbstätigen zu Nichterwerbstätigen notwendig. Denn das Steuersystem ist letztlich nichts anderes als ein Umlagesystem, in dem die Einnahmen eines Jahres gleich wieder ausgegeben werden. In dem Maße wie die Einnahmen und Ausgaben von der Größe und Altersstruktur der Bevölkerung abhängen, ist auch das Steuer- und Transfersystem demographieabhängig. Ein Grundrentensystem würde die demographische Abhängigkeit des Steuer- und Transfersystems drastisch erhöhen mit der Konsequenz einer größeren Steuerbelastung in der Zukunft, also für künftige Generationen. Letztlich wäre im Vergleich zum heutigen System hinsichtlich Demographiefestigkeit und Gleichbehandlung der Generationen nicht viel gewonnen.

Literatur:
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.) (2003): Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission vom 28.08.2003.

Sollten die Rentenversicherungsbeiträge nach der Kinderanzahl gestaffelt werden?

Nein.
Als Argument für eine solche Regelung wird immer wieder angeführt, dass die Bürger tatsächlich auf zwei Arten zur Finanzierung der Renten beitragen: zum einem durch ihre Beitragsleistungen und zum anderen durch Kindererziehung. Letztere erlangt vor dem Hintergrund des demographischen Wandels eine immer größere Bedeutung. Kinderlose trügen nur durch ihre Beiträge zum Rentensystem bei und sollten daher entweder durch geringere Leistungsansprüche im Alter oder aber durch höhere Beiträge während der Erwerbstätigkeit einen kompensierenden finanziellen Beitrag leisten. Außerdem wird argumentiert, dass Kindererziehende während der Erziehungsphase finanziell gegenüber Kinderlosen entlastet werden sollten, da sie zugunsten der Kindererziehung einen Lohnverzicht auf sich nehmen und ihnen darüber hinaus zusätzliche Kosten entstehen.

Bei dieser Argumentation wird übersehen, dass nicht nur die Rentenversicherung auf künftige Generationen angewiesen ist. Vielmehr zielt unser komplettes politisches System auf eine kontinuierliche Generationenabfolge ab. Die Kindererziehung ist daher als Aufgabe der Gesellschaft im Ganzen zu betrachten. Damit ist eine Gegenleistung für sie aber aus allgemeinen Steuermitteln und nicht aus Beiträgen zu finanzieren, denn sonst würden Kindererziehende außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung (bspw. Selbstständige oder Hausfrauen) gegenüber Kindererziehenden in der GRV benachteiligt und Kinderlose außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gegen über Kinderlosen in der GRV besser gestellt. Für Kinderlose ergäben sich zudem Anreize, auf nicht versicherungspflichtige Beschäftigungsformen (bspw. die Selbstständigkeit) auszuweichen, was weitere negative Auswirkungen auf die Finanzlage der GRV hätte.

Darüber hinaus führt ein beitragsfinanzierter Ausgleich für Kindererziehung zu perversen Umverteilungseffekten von niedrigeren zu höheren Einkommen. Kindererziehende mit hohem Einkommen würde stärker begünstigt als Kindererziehende mit niedrigerem Einkommen, da sie bei einem Beitragssatzbonus von bspw. drei Prozentpunkten einen höheren Absolutbetrag einsparen. Umgekehrt würden Kinderlose mit hohem Einkommen aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze in der GRV weniger belangt als Kinderlose mit niedrigerem Einkommen.

Besser und gerechter ist somit ein steuerfinanzierter Ausgleich für Kindererziehung. Einen solchen gibt es in der GRV jedoch bereits: der sogenannte Familienlastenausgleich beinhaltet bspw. Maßnahmen wie die Gutschrift zusätzlicher Entgeltpunkte für Erziehungsjahre oder die Berücksichtigung einer Kinderkomponente bei Hinterbliebenenrenten. Er kann gewissermaßen nicht nur als Kostenausgleich, sondern auch als eine angemessene Gegenleistung für Kindererziehende im Rahmen der GRV betrachtet werden.

Literatur:
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.) (2003): Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission vom 28.08.2003.

Sollte das abschlagsfreie Renteneintrittsalter von der Anzahl der Beitragsjahre abhängen?

Nein.
Mit dem Argument, dass eine längere Versicherungsdauer Rückschlüsse auf eine geringere verbleibende Lebenserwartung zulasse und deshalb geringere Abschläge gerechtfertigt seien, wird oft die Forderung begründet, die Höhe der Abschläge bei Renteneintritt von der vorherigen Versicherungsdauer abhängig zu machen. Dieser Gedanke lag wohl auch der Entscheidung zugrunde, als eine Ausnahme zur „Rente mit 67“ einen abschlagsfreien Renteneintritt für besonders langjährig Versicherte (Versicherungszeit mindestens 45 Jahre) schon mit dem Alter von 65 Jahren zuzulassen.

Bei dieser Argumentation wird jedoch übersehen, dass eine solche Regelung nicht mit dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz vereinbar ist, wonach gleiche Beitragsleistungen zu gleich hohen Rentenansprüchen führen müssen, unabhängig davon, wie die Beitragsleistungen auf das Erwerbsleben verteilt sind. Deutlich wird dies, wenn man zwei Versicherte betrachtet, die während des Erwerbslebens die gleiche Entgeltpunktsumme erworben haben. Der erste Versicherte hat die Entgeltpunkte in 45 Jahren angesammelt, der zweite Versicherte in 44 Jahren. Während der erste Versicherte auch künftig abschlagsfrei im Alter von 65 Jahren in Rente gehen kann, muss der zweite Versicherte ab 2012 Abschläge hinnehmen, wenn er ebenfalls schon mit 65 und nicht zu dem für ihn gültigen höheren gesetzlichen Renteneintrittsalter in Rente gehen will. Es kommt also zu einer Ungleichbehandlung dieser beiden Versicherten und zu Mehrausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung, da die nicht erhobenen Abschläge bzw. die verlängerte Rentenbezugsdauer der besonders langjährig Versicherten finanziert werden müssen.
Geht man von tendenziell steigenden Beitragssätzen im Zeitverlauf aus, so sind langjährig Versicherte ohnehin bereits dadurch begünstigt, dass sie in der Vergangenheit mit relativ niedrigeren Beitragssätzen belastet waren. Ihre Rendite fällt also höher aus als bei denjenigen, deren Beitragszeit später beginnt.

Die abschlagsfreie Rente mit 65 für besonders langjährig Versicherte macht die gesetzliche Rentenversicherung darüber hinaus für Personen mit wenigen Beitragsjahren aber hohen Beitragszahlungen pro Jahr unattraktiver, denn sie müssten die aus dieser Sonderregelung resultierenden höheren Beitragssätze mit tragen, ohne dass sie dafür eine Gegenleistung bekämen. Damit werden für diese Personen zusätzliche Anreize gesetzt, in nicht versicherungspflichtige Beschäftigungsformen auszuweichen.

Auch im Hinblick auf zunehmend unstete Erwerbsverläufe ist eine solche Regelung abzulehnen. Personen mit solch unsteten Erwerbsverläufen, häufig Frauen, werden nämlich dann neben ihrer ohnehin unterdurchschnittlichen Einkommen und Rentenansprüche durch die Rentenversicherung noch zusätzlich bestraft. So weisen nur 5% der derzeit in die Altersrente gehenden Frauen 45 Pflichtbeitragsjahre auf, aber 30% der Männer.

Die Zahlen zeigen zudem, dass dem Ausnahmetatbestand der besonders langjährigen Versicherten eine sehr große Bedeutung zukommt, was das Beitragssatzsenkungspotential der Rente mit 67, das auf 0,8 Prozentpunkte bis 2030 angesetzt wurde, erheblich einschränkt. So wird allein durch die Ausnahmeregelung für Versicherte mit 45 Beitragsjahren der Beitragssatzsenkungseffekt der Rente mit 67 um 0,3 Prozentpunkte vermindert.

Literatur:

  • Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.) (2003): Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission vom 28.08.2003.
  • Sachverständigenrat zu Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/07 und Jahresgutachten 2007/08.

Ist das Schweizer-System eine Reformalternative für die deutsche Rentenversicherung?

Nein.
In der Schweiz umfasst die Rentenversicherung im Gegensatz zu Deutschland nicht nur die (abhängig) Beschäftigten, sondern die gesamte Bevölkerung. Alle Einwohner der Schweiz müssen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit Beiträge zahlen, die sich bei Erwerbstätigen über den Bruttolohn und bei Nichterwerbstätigen über Vermögen und Renteneinkommen bemisst. Eine Beitragsbemessungsgrenze gibt es nicht. Die Höhe der staatlichen Rente zielt nur auf eine Grundversorgung ab. Um den Lebensstandard im Alter zu sichern, ist eine zusätzliche Vorsorge über die zweite und dritte Säule notwendig. Die betriebliche Altersvorsorge spielt eine große Rolle. Sie trägt zur Gesamtversorgung im Alter zurzeit fast ein Drittel bei. Es ist abzusehen, dass dieser Anteil künftig noch zunehmen wird, da die betriebliche Vorsorge seit 1985 für Arbeitnehmer über einer gewissen Einkommensgrenze obligatorisch ist. Ergänzend können steuerlich begünstigte Beiträge in eine freiwillige private Vorsorge eingezahlt werden.

Eine Übertragung des Schweizer Systems auf Deutschland ist nicht sinnvoll, es sei denn, man würde auch das gesamte Steuersystem der Schweiz mit seinen viel niedrigeren Einkommenssteuern übernehmen. Eine isolierte Einführung würde das Prinzip der „Teilhabeäquivalenz“, das dem Einzelnen in der Rentenversicherung Leistungen garantiert, die seinen Beiträgen entsprechen, durchbrechen. Die Beiträge würden nicht mehr als Versicherungsbeitrag, sondern zum größten Teil als Steuer aufgefasst, woraus entsprechend negative Anreizeffekte resultierten. Da auch das Schweizer System gegen den demographischen Wandel keineswegs immun ist, der zu weniger Beitragszahlern führt, denen mehr Leistungsempfängern gegenüber stehen, ist ein Übergang zu einem solchen System in Deutschland nicht gerechtfertigt.

Weitere Informationen:

Kranken- und Pflegeversicherung

Ist eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur Gesetzlichen Krankenversicherung zur Konjunkturstimulierung geeignet?

Die Bundesregierung hat im Rahmen des Konjunkturpakets II beschlossen, den seit ersten Januar 2009 geltenden einheitlichen Krankenversicherungsbeitragssatz am 1. Juli 2009 von 15,5% auf 14,9 % zu senken. Finanziert werden soll dies im Jahr 2009 durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses an die GKV bzw. an den Gesundheitsfonds um 3,2 Mrd. Euro. Im Jahr 2010 soll der Bundeszuschuss um 6,3 Mrd. Euro höher ausfallen als geplant. Vor dem Konjunkturpaket II war in § 221 SGB V die Beteiligung des Bundes an den Aufwendungen der GKV derart geregelt, dass der Bundeszuschuss von jeweils 2,5 Mrd. Euro in den Jahren 2007 und 2008 schrittweise um 1,5 Mrd. Euro jährlich steigen sollte oder stieg, bis ein Volumen von 14 Mrd. Euro erreicht sei/wäre. Dies wäre im Jahr 2016 der Fall gewesen. Nun soll der Zielwert von 14 Mrd. Euro schon 2012 realisiert werden.

Entwicklung des Bundesbeitrags zur Gesetzlichen Krankenversicherung

Grundsätzlich ist ein Bundeszuschuss zu den Sozialversicherungen dann zu rechtfertigen, wenn die Sozialversicherung gesamtgesellschaftlich gewünschte Leistungen erbringt, die aber nicht dem eigentlichen Zweck der Versicherung entsprechen, oder wenn die Sozialversicherung Umverteilungsziele verfolgt, die eigentlich gesamtgesellschaftliche Umverteilungsaufgaben darstellen, und deshalb von allen Steuerzahlern getragen werden müssten. Wird in einer Sozialversicherung ein Teil der Beiträge zur Erbringung versicherungszweckfremder Leistungen oder zur Erreichung von bestimmten Umverteilungszielen verwendet, dann hat der Beitrag eines Versicherten teilweise den Charakter einer Steuerzahlung. Diese Steuerbelastung sollte aber nicht nur von den Versicherten getragen werden, und es sollten nicht nur die beitragspflichtigen Einkommen, also im Wesentlichen die Lohneinkommen besteuert werden. Vielmehr ist es angebracht, alle Steuerzahler und die gesamte Steuerbemessungsgrundlage zu belasten.

Der Versicherungszweck einer Krankenversicherung besteht darin, Leistungen bei Krankheit und für Gesundheitsvorsorge zu gewähren. Entsprechend war das bereits abgeschaffte Sterbegeld eine versicherungsfremde Leistung, genauso wie die Leistungen bei Mutterschaft, beispielsweise Haushaltshilfen oder das Mutterschaftsgeld, heute noch versicherungsfremd sind. Diese Ausgaben der Krankenkassen sind zwar richtig und wichtig, sollten aber nicht nur vom Kreis der Versicherten, sondern von der gesamten Gesellschaft getragen werden. Deshalb ist eine Steuerfinanzierung dieser Leistungen angebracht. Die (erste) Einführung eines Bundeszuschusses mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde seinerzeit so begründet.

Neben diesen zweckfremden Ausgaben werden in der Krankenversicherung aber auch noch Umverteilungsziele verfolgt, die vor allem durch eine differenzierte Beitragserhebung erwirklicht werden. So müssen Mitglieder mit niedrigeren Einkommen gemessen am Eurobetrag niedrigere Beiträge zahlen als Mitglieder mit höheren Einkommen, vor allem aber sind Ehepartner ohne Einkommen und Kinder beitragsfrei mitversichert. Sie erhalten Leistungen, ohne Beiträge zu zahlen, so dass es zu einer Umverteilung von den beitragszahlenden Mitgliedern an Ehegatten und Kinder kommt. Diese Umverteilung ist aber offensichtlich von der gesamten Gesellschaft gewollt. Alleine die Leistungen für mitversicherte Familienangehörige betragen nach Berechnungen des MEA derzeit über 28 Mrd. Euro. Besonders die Förderung von Kindern wird als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet. Deshalb ist die Steuerfinanzierung von Leistungen an Kinder, die derzeit rund 15 Mrd. Euro ausmachen (Tabelle), durchaus begründbar.

Diese Gedanken lagen wohl auch der Erhöhung der Bundesbeteiligung im Rahmen der letzten Gesundheitsreform zugrunde. Wenngleich nicht explizit ins Gesetz geschrieben, so wurde doch die graduelle Erhöhung auf 14 Mrd. Euro zumindest in den Äußerungen der Gesundheitspolitiker vor allem mit der beitragsfreien Versicherung von Kindern gerechtfertigt. Doch wenn man die staatliche Förderung der Gesundheitsversorgung von Kindern will, dürfte diese Förderung aus Gleichbehandlungsgründen nicht bei den Kindern der Privatversicherten halt machen. Wohl eingedenk dieser Tatsache und der damit verbundenen verfassungsrechtlichen Probleme wurde im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz die Finanzierung der Kinderversicherung als Zweck des Bundeszuschusses nicht genannt. Eine staatliche Unterstützung der privat versicherten Kinder würde zudem die private Krankenversicherung für Kassen-Mitglieder mit hohen Einkommen attraktiver machen und zu weiteren Wechselbewegungen mit negativen Auswirkungen für die GKV führen, was man ebenfalls vermeiden wollte. Ein weiterer Grund, den eigentlichen Zweck des Bundeszuschusses nicht ins Gesetz zu schreiben, mag auch gewesen sein, dass in Zukunft die Anzahl der mitversicherten Kinder abnehmen wird und der Bundeszuschuss dann bei dieser Zweckbindung möglicherweise reduziert werden müsste.

Die Erhöhung des Bundeszuschusses im Jahr 2009 um 3,2 Mrd. Euro erzeugt aufs Jahr gerechnet eine Entlastung von rund 0,30 Beitragssatzpunkten. Damit ist eine Beitragssatzsenkung zum 1. Juli 2009 um rund 0,6 Prozentpunkte möglich. Die Erhöhung des Bundeszuschuss um 6,3 Mrd. Euro im Jahr 2010 führt bei einem unterstellten Wachstum der beitragspflichtigen Einkommenssumme um 0,5 % zu einem Beitragssatzsenkungspotential von 0,57 Punkten.

Bei der Betrachtung des konjunkturellen Effekts dieser Maßnahme muss man sich klar machen, dass der Beitragssatz zu Beginn des Jahres 2009 von durchschnittlich 14,9% auf einheitlich 15,5% gestiegen ist. Für sich genommen hat dies zu einem kontraktiven Effekt geführt, der unter anderem den privaten Konsum reduziert. Erst ab 1. Juli 2009 wird die zusätzliche Belastung gleichsam wieder rückgängig gemacht. Eine wirkliche Entlastung mit einem stimulierenden Effekt auf den privaten Konsum kann es erst im Jahr 2010 geben. Grundsätzlich gilt aber, dass die Sozialversicherungen nicht zur Konjunkturpolitik missbraucht werden sollten.

Zudem ist zu bedenken, dass es in der GKV eine inhärente Tendenz zum Beitragssatzanstieg gibt, da ganz allgemein gesprochen aufgrund der demographischen Entwicklung und aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts die Ausgaben schneller wachsen als die Beitragsgrundlage. Somit sind durch Staatszuschüsse erzeugte Beitragssatzsenkungen nur vorübergehend. Eine nachhaltige Beitragssenkung durch den Bundeszuschuss kann also nicht gelingen, was in der öffentlichen Wahrnehmung als Politikversagen interpretiert werden könnte.

Demographische Entwicklung

Birgt der demografische Wandel auch Chancen?

(März 2017)

Ja.

Der demografische Wandel muss kein Grund zur Sorge sein, wenn die alternden Gesellschaften in der Lage sind, sich den neuen demografischen Bedingungen anzupassen.

Der demografische Wandel, also der Prozess gesellschaftlicher Alterung, ist in politischen Debatten häufig ein negativ behafteter Begriff. Die Anzahl der Rentenempfänger steigt immer weiter an, gleichzeitig sinkt die Anzahl der Erwerbstätigen, die in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einzahlen. Der demografische Wandel stellt nicht nur die sozialen Sicherungssysteme vor große Herausforderungen, sondern die gesamte Volkswirtschaft: vor allem die Konsumnachfrage, den Arbeitsmarkt, aber auch die Finanz- und Kapitalmärkte und die internationalen Wirtschaftsbeziehungen zwischen unterschiedlich langsam alternden Ländern.

Die Veränderung der Alters- und Bevölkerungsstruktur in Deutschland beruht auf zwei Entwicklungen: dem kontinuierlichen Anstieg der Lebenserwartung und der niedrigen Geburtenrate.

Der demografische Wandel wird häufig als Bedrohung wahrgenommen. Doch die Menschen bleiben heutzutage länger gesund und auch im Alter hochproduktiv. Der demografische Wandel hat also auch positive Seiten.

Das Munich Center for the Economics of Aging (MEA) untersucht mit der Langzeitstudie SHARE (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe) die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen älterer Menschen in 27 europäischen Ländern und Israel. Seit 2004 wurden über 123.000 Menschen befragt. Auf SHARE-Daten basierende Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen durchschnittlich länger gesund bleiben – und also auch länger arbeiten können.

Eine Studie von Axel Börsch-Supan und Matthias Weiss aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass ältere Arbeiter nicht notwendigerweise weniger produktiv sind als jüngere. Dazu wurden Fließbandarbeiter in einem LKW-Werk in Süddeutschland untersucht. Die Resultate zeigen, dass zwar die körperliche Leistungsfähigkeit im Alter abnimmt. Jedoch profitieren ältere Arbeiter von ihrer Erfahrung und machen weniger schwerwiegende Fehler. Somit ergänzt sich die Erfahrung älterer Mitarbeiter gut mit der Leistungsfähigkeit ihrer jüngeren Kollegen.

In der steigenden Lebenserwartung und der positiven Gesundheitsentwicklung älterer Menschen in Deutschland liegen also die Chancen des demografischen Wandels. Weil wir länger leben und länger gesund bleiben, sollte konsequenterweise auch die Erwerbs- und Rentenbezugszeit angeglichen werden. MEA-Direktor Axel Börsch-Supan schlägt dazu eine Dynamisierung des Rentenalters vor, um das Rentensystem dauerhaft zu stabilisieren und Anpassungen der politischen Willkür zu entziehen: Die gewonnenen Lebensjahre sollten im Verhältnis 2:1 auf zusätzliche Arbeits- und zusätzliche Rentenjahre aufgeteilt werden.

Durch den Anstieg der Erwerbsquote und eine verstärkte Aus- und Weiterbildung älterer Arbeitnehmer könnten die negativen ökonomischen Auswirkungen des demografischen Wandels aufgefangen werden. Der demografische Wandel gibt also durchaus Grund für Optimismus, wenn sich Deutschland mit den notwendigen Anpassungen des Arbeitsmarktes und des Rentensystems den Herausforderungen stellt.

Literatur:
Börsch-Supan, A. (2016): Ökonomische und sozialpolitische Implikationen der Alterung in Deutschland: Chancen des demografischen Wandels. (MEA-Website).

Börsch-Supan, A. (2008): Der demographische Wandel: Konsequenzen für die deutsche Volkswirtschaft. Policy Brief Nr. 4, MEA – Universität Mannheim.

Börsch-Supan, A. (2014): Silver Economy: Pipe Dream or Realistic Possibility? MEA-Discussion-Paper 26-2014, MEA-Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.

MEA-Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik (24.01.2017): Dynamisierung des Rentenalters 2:1. (MEA-Website).

Börsch-Supan, Axel; Weiss, Matthias (2016): "Productivity and age: Evidence from work teams at the assembly line". In: The Journal of the Economics of Ageing (online first). DOI: 10.1016/j.jeoa.2015.12.001.

Nimmt die Produktivität älterer Arbeitnehmer ab?

(Februar 2017)

Nein.

„Ältere Arbeitnehmer sind nicht mehr so produktiv“ – so lautet eine weitverbreitete Annahme. Die Studie „Productivity and age: Evidence from work teams at the assembly line“, von Axel Börsch-Supan und Matthias Weiss (2016), spricht dagegen.

Für die Erhebung der Daten wurden Teams von Fließbandarbeitern in einem LKW-Werk in Süddeutschland untersucht. Diese Arbeit, typisch für die verarbeitende Industrie, erfordert mehr körperliche Stärke, Fingerfertigkeit und Wendigkeit als Beschäftigungen im Dienstleistungssektor, während Erfahrung und Menschenkenntnis, die im Alter eher zunehmen, keine so große Rolle spielen.

Da der Arbeitsprozess stark standardisiert ist, kann die Produktivität der Arbeitsteams anhand der Fehlerquote gemessen werden und anschließend mit den soziodemographischen Daten der Teammitglieder abgeglichen werden. Die Resultate zeigen, dass die durchschnittliche Produktivität eines Arbeiters sogar in einer Arbeitsumgebung, die körperliche Fitness erfordert, bis zum Renteneintrittsalter (65 Jahre) kontinuierlich ansteigt. Ausschlaggebend dafür ist u.a. die Erfahrung der älteren Arbeiter. Sie machen zwar nicht weniger Fehler als Jüngere, allerdings weniger schwerwiegende Fehler. Die Untersuchung der Teamproduktivität zeigt, dass ältere Arbeiter zum Beispiel im Team ihre Fähigkeiten einsetzen können, um schwierige Situationen routinierter und schneller zu bewältigen oder jüngere Kollegen zu unterstützen.

Literatur:
Börsch-Supan, Axel; Weiss, Matthias (2016): "Productivity and age: Evidence from work teams at the assembly line". In: The Journal of the Economics of Ageing, online first (doi:10.1016/j.jeoa.2015.12.001)

Wirkt sich die niedrigere Geburtenrate tatsächlich negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus?

Wir sind am MEA der Frage nachgegangen, inwiefern sich eine höhere Geburtenrate positiv auf das Pro-Kopf-Einkommen auswirkt. Dabei haben wir ebenfalls betrachtet, was passiert, wenn die Geburtenrate zunächst weiter sinken und dann auf einem niedrigeren Niveau stagnieren würde. Dieses Gedankenexperiment ist hilfreich, wenn es um eine Beurteilung der derzeitigen Situation in Deutschland geht. Das Pro-Kopf-Einkommen, das wir dafür betrachten, ist dabei in heutiger Kaufkraft gemessen.

Bei einer sinkenden Geburtenrate müssen zeitlich betrachtet zwei gegenläufige Entwicklungen unterschieden werden. Kurz- bis mittelfristig wirkt eine fallende Geburtenrate positiv auf das Pro-Kopf-Einkommen. Die Zahl der Erwerbstätigen bleibt in diesem Fall in den ersten zwanzig Jahren unberührt, während die Anzahl der Kinder, die versorgt und ausgebildet werden müssen, fällt. Dies führt schon allein rein rechnerisch zu einem höheren Pro-Kopf-Einkommen, da das bestehende Gesamteinkommen auf weniger Köpfe verteilt wird. Darüber hinaus entfallen zusätzliche Kosten, die für den Konsum und die Ausbildung von mehr Kindern aufgebracht werden müssen.

Langfristig ergeben sich eine Reihe negativer Effekte. „Langfristig“ bezieht sich dabei auf den Zeitpunkt, ab dem die Anzahl der Erwerbstätigen aufgrund der niedrigeren Geburtenrate sinkt, d.h. also etwa zwanzig Jahre nachdem die Geburtenrate gefallen ist. Dieser negative Effekt setzt sich aus drei Teileffekten zusammen: Zum einen gibt es nun weniger Erwerbstätige relativ zur Gesamtbevölkerung. Zum Zweiten wird relativ weniger Ersparnis gebildet, d.h. die gesamte Kapitalakkumulation wird gebremst. Zum Dritten gibt es einen indirekten Effekt, der auf die zusätzliche Belastung der Sozialversicherungssysteme zurückzuführen ist. Würde das derzeitige Versorgungsniveau beibehalten, so ergäbe sich daraus eine viel diskutierte zusätzliche Beitragsbelastung, die sich sowohl auf die Gesamtersparnis als auch auf das Arbeitsangebot der Haushalte negativ auswirkt. Die Summe dieser drei negativen Effekte überwiegt langfristig den zuvor genannten, kurzfristigen positiven Effekt auf das Pro-Kopf-Einkommen.

Die Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens (in heutiger Kaufkraft gemessen) folgt logisch diesem Verlauf – zunächst ist sie positiv und, mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa 20 bis 30 Jahren, schließlich negativ.

Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch von Bedeutung, dass die Auswirkungen auf das Pro-Kopf-Einkommen entscheidend von der Qualität der Aus- und Weiterbildung und somit von der späteren Produktivität der jüngeren Generation abhängen. Besser ausgebildete Kinder und Fortbildungen für Erwerbstätige haben einen entscheidend positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum. Dieser könnte künftig stärker wirken als bisher: aufgrund der relativen Knappheit des Faktors Arbeit dürfte die Ausbildungsrendite in Zukunft höher sein und somit größere Ausbildungsanreize existieren.

Literatur:
B. Berkel, A. Börsch-Supan, A. Ludwig (2002): Sind die Probleme der Bevölkerungsalterung durch eine höhere Geburtenrate lösbar? MEA Diskussionspapier 025-02. Erschienen in 2004: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Band 5, Heft 1, S. 71-90.

Sonstige wirtschafts- und sozialpolitische Themen

Können bei stärkeren Lohnsteigerungen die Beitragssätze in den Sozialversicherungen gesenkt werden?

Ja.
Die Beitragssatzsenkungspotentiale dürfen aber nicht überschätzt werden, da es in allen Sozialversicherungszweigen einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen der Lohnentwicklung und der Ausgabenentwicklung gibt. Die Stärke dieses Zusammenhangs und damit auch das Ausmaß der Beitragssatzsenkungen unterscheiden sich zwischen den Sozialversicherungszweigen. Zudem ist für die Größe des Beitragssatzeffekts entscheidend, ob die Lohnsteigerungen nur vorübergehend höher ausfallen oder ob es dauerhaft zu höheren Lohnwachstumsraten kommt.

Gesetzliche Rentenversicherung
In der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) gibt es über die Rentenanpassungsformel einen direkten Zusammenhang zwischen den Lohnsteigerungen und den Rentenerhöhungen. Die Renten steigen am 1. Juli eines Jahres grundsätzlich mit der durchschnittlichen Lohnzuwachsrate des vergangenen Jahres, ggf. abzüglich eines Abschlags, der aus den verschiedenen zusätzlichen Faktoren in der Rentenanpassungsformel resultiert (Beitragssatzfaktor, Nachhaltigkeitsfaktor, Nachholfaktor).

Ist die Lohnsteigerung nur einmalig stärker als erwartet, dann fallen in diesem Jahr die Beitragszahlungen höher aus. Zum 1. Juli des darauf folgenden Jahres werden dann aber die Renten entsprechend stärker angehoben, so dass sich nur für ein halbes Jahr ein Beitragssatzsenkungspotential ergibt. Erreichen die Löhne wieder ihren ursprünglichen Entwicklungspfad, ist zwar das Niveau der Beitragseinnahmen höher, aber auch das der Rentenausgaben, auf das die jährlichen Änderungen aufsetzen. Somit muss der Beitragssatz wieder das gleiche Niveau erreichen wie ohne die einmalige stärkere Lohnerhöhung. Tatsächlich findet diese Angleichung auch statt. Durch die spezielle Ausgestaltung der Rentenversicherung (Rückkopplungseffekte über den Beitragssatzfaktor) und aufgrund der Regel, wann es zu Beitragssatzänderungen kommt (Nachhaltigkeitsrücklage kleiner 0,2 oder größer 1,5 Monatsausgaben), tritt nach einer vorübergehenden leichten Beitragssatzsenkung diese Angleichung erst verzögert ein (Abbildung 1).

Ist die Lohnentwicklung dauerhaft höher, sind die Anpassungsmechanismen ähnlich. Die höhere Lohnsteigerung in einem Jahr führt stets im darauf folgenden 1. Juli zu höheren Rentensteigerungen, so dass sich dauerhaft ein geringes Beitragssatzsenkungspotential durch die verzögerte Rentenanpassung ergibt. Entsprechend ist der Beitragssatz dauerhaft etwas niedriger als bei einer schwächeren Lohnentwicklung (Abbildung 1). Der Beitragssatzsenkungseffekt ist geringfügig größer als bei einer einmalig höheren Lohnsteigerungsrate.

Abbildung 1: Beitragssatzentwicklung in der Gesetzlichen Rentenversicherung für verschiedene Lohnsteigerungsraten

Gesetzliche Krankenversicherung
Anders als in der GRV gibt es in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) keinen direkten Zusammenhang zwischen der Lohnentwicklung, also der Entwicklung der Beitragsgrundlage, und den Krankenversicherungsausgaben. Eine Ausnahme ist das Krankengeld, das nach dem Lohneinkommen eines Versicherten bemessen wird. Entsprechend schlagen sich stärkere Lohnsteigerungen in höheren Krankengeldzahlungen nieder. Ansonsten gibt es einen indirekten Zusammenhang. Beispielsweise hängen die Kosten von Dienstleistungen im Gesundheitssektor und auch die Preise von medizinischen Produkten von den Arbeitskosten ab1. Auch die Vergütung von ärztlichen Leistungen und Krankenhausleistungen ist in gewissem Ausmaß an die Entwicklung der Löhne gekoppelt. So sind nach §71 SGB 5 die Vergütungen für Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung so auszugestalten, dass keine Beitragssatzerhöhungen notwendig sind. Es bestehen also innerhalb der GKV Mechanismen, die dazu führen, dass sich Einnahmeverbesserungen durch stärkere Lohnsteigerungen mit zeitlicher Verzögerung zumindest teilweise in Ausgabenerhöhungen niederschlagen. Unterstellt man zunächst den Extremfall, dass es gar keinen Zusammenhang zwischen Löhnen und Ausgaben gibt, zeigt sich, dass eine einmalig höhere Lohnsteigerung zu Beitragssatzsenkungen führt, die erhalten bleiben, auch wenn die Lohnwachstumsrate wieder den alten niedrigeren Wert erreicht (Abbildung 2, Szenario „plus 1%- Punkt 2012“). Zukünftige Lohnsteigerungen setzen auf einem höheren Lohnniveau auf und sorgen für höhere Beitragseinnahmen im Vergleich zu der Situation, in der es die einmalig höhere Lohnsteigerung nicht gegeben hätte. Da die Ausgaben annahmegemäß unbeeinflusst beleiben, ist der Beitragssatz dauerhaft niedriger. Im Falle einer dauerhaft höheren Lohnzuwachsrate kommt es in jedem Jahr zu einem zusätzlichen Beitragssenkungspotential, so dass sich aufgrund der zeitlichen Verzögerung der Ausgabensteigerungen eine Schere in der Beitragssatzentwicklung mit und ohne höhere Lohnsteigerungen auftut (Abbildung 2, 3%-Szenario). Im anderen Extremfall eines vollständigen Zusammenhangs zwischen Löhnen und Ausgaben ergibt sich mittelfristig kein Beitragssatzeffekt, wenn die höhere Lohnsteigerung nur einmalig ist. Ist die Lohnzuwachsrate dauerhaft höher und tritt die Ausgabenerhöhung mit zeitlicher Verzögerung ein, zeigt sich dauerhaft eine geringe Beitragssatzsenkung genauso wie in der GRV (Abbildung 2, Szenario „3%+Ausgaben1PP“).

Der Beitragssatzsenkungseffekt ist umso geringer, je mehr die höheren Lohnsteigerungen zu Ausgabenerhöhungen führen. In der Realität werden die Beitragssatzwirkungen zwischen den beiden genannten Extremfällen liegen. Trotzdem kann man als grundsätzliches Ergebnis aber festhalten, dass in der Krankenversicherung anders als in der Rentenversicherung höhere Lohnsteigerungen nicht unmittelbar und nicht eins zu eins in höhere Ausgabensteigerungen umgesetzt werden, so dass der Beitragssatzsenkungseffekt grundsätzlich höher ausfällt.

Abbildung 2: Beitragssatzentwicklung² in der Gesetzlichen Krankenversicherung für verschiedene Lohnsteigerungsraten

Soziale Pflegeversicherung
Da die Soziale Pflegeversicherung (SPV) eine Teilkaskoversicherung ist und im Wesentlichen in nominalen Eurowerten ausgedrückte Leistungspauschalen gewährt, gibt es derzeit keinen Zusammenhang zwischen Löhnen und Ausgaben der Pflegeversicherung. Das Beitragssatzsenkungspotential bei höheren Lohnsteigerungen ist also potentiell sehr groß. Allerdings soll ab 2014 alle 3 Jahre die Notwendigkeit und Höhe einer Dynamisierung der Leistungspauschalen überprüft werden. Als ein Orientierungswert für die Anpassungsnotwendigkeit dient die kumulierte Preisentwicklung in den letzten drei abgeschlossenen Kalenderjahren; dabei ist sicherzustellen, dass der Anstieg der Leistungsbeträge nicht höher ausfällt als die Bruttolohnentwicklung im gleichen Zeitraum (§30 SGB 11). Im Extremfall kann sich somit ein direkter Zusammenhang zwischen Lohn- und Ausgabenentwicklung ergeben. Beitragssatzeffekte können sich dann bei einer einmalig höheren Lohnsteigerung nur vorübergehend durch die drei Jahre verzögerte Dynamisierung ergeben. Bei dauerhaft höheren Lohnsteigerungsraten führt dieser Verzögerungseffekt genauso wie in der GRV zu einem dauerhaft geringfügig niedrigeren Beitragssatz (Abbildung 3, Szenario „3%+Ausgaben1PP“).

Ist die Erhöhung der Leistungspauschalen gänzlich unabhängig von der Lohnentwicklung, dann können dauerhaft höhere Lohnsteigerungsraten zu enormen Beitragssatzeffekten führen (Abbildung 3, 3%-Szenerio).

Abbildung 3: Beitragssatzentwicklung³ in der Sozialen Pflegeversicherung für verschiedene Lohnsteigerungsraten

Arbeitslosenversicherung
Die von der Arbeitslosenversicherung getätigten Ausgaben hängen nur zum Teil direkt von der Lohnentwicklung ab. So bemisst sich das Arbeitslosengeld I als Prozentsatz des letzten Nettolohnes. Lohnsteigerungen werden sich aber nur nach Maßgabe des Anteils der Personen, die von den Lohnsteigerungen profitiert haben, an der Gesamtzahl der Arbeitslosengeldempfänger erhöhen. Dieser Anteil wird nur allmählich steigen, so dass sich hier eine merkliche Zeitverzögerung ergibt, die Beitragssatzsenkungspotentiale in sich birgt. Ausgaben der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind höchsten indirekt von der Lohnentwicklung abhängig. Insgesamt dürfte das Beitragssatzsenkungspotential durch höhere Löhne höher als in der GRV und der GKV sein.

Fazit
Die Beitragssatzsenkungseffekte durch kräftigere Lohnsteigerungen sind möglich, dürfen aber nicht überschätzt werden, da es in jedem Sozialversicherungszweig einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen Lohnsteigerungen und Ausgabensteigerungen gibt, der Beitragssatzsenkungspotentiale beschneidet. Gleichwohl sind die Beitragssatzeffekte einer geänderten Lohndynamik in der GKV und SPV größer als in der GRV.

Literatur

  • Börsch-Supan, Axel; Gasche, Martin; Wilke, Christina Benita (2010): Konjunkturabhängigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung am Beispiel der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 59. Jahrgang, 3, S. 298-328.
  • Deutscher Bundestag (2010): Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2010) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2010, Bundestagsdrucksache 17/3900.
  • Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme – (Rürup- Kommission) (2003), Bericht der Kommission, Berlin.

¹ Auch wird vermutet, dass es im Gesundheitssektor einen sog. Preisstruktureffekt gibt. Danach schlagen sich Lohnerhöhungen stärker auf die Preise von Gesundheitsgüter nieder, weil im personalintensiven Gesundheitssektor die Produktivitätssteigerungen geringer sind als in der Gesamtwirtschaft.

² Da aufgrund des GKV-Finanzierungsgesetzes ab 2011 die Beitragszahlungen eine Kombination aus mit einem einheitlichen Beitragssatz verbeitragten Einkommen und einem Zusatzbeitrag darstellen, handelt es sich bei den abgebildeten Werten nicht um einen „echten“ Beitragssatz, sondern um den Quotienten aus der Summe aller Beitragszahlungen und der Summe der beitragspflichtigen Einkommen.

³ Dargestellt ist der durchschnittliche Beitragssatz für Kinderlose und Versicherten mit Kindern.

Was ist Generationengerechtigkeit?

Der Begriff Generationengerechtigkeit ist in Deutschland verstärkt in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Da Gerechtigkeit an sich eine zentrale Maxime für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft bildet, scheint es selbstverständlich, die Gerechtigkeit zwischen Generationen als ebenso zentral anzusehen und mit ihr als Wertvorstellung zu argumentieren.

Beschäftigt man sich jedoch eingehender mit dem Begriff der Generationengerechtigkeit, so wird deutlich, dass dieser auf keinem wissenschaftlich haltbaren, d.h. verifizierbaren, Konzept beruhen kann. Zu kompliziert ist das, was eine Generation vereint und von anderen unterscheidet, und zu eng ist das Korsett, mit dem uns die finanziellen Sachzwänge einschnüren. Was bedeutet Generationengerechtigkeit denn beispielsweise für die Reformen im Bereich der Rentenversicherung? Ist es generationengerecht, wenn aufgrund der höheren Lebenserwartung die neue Rentnergeneration nun später in Rente geht oder eben eine geringere Rente in Kauf nimmt? Oder wäre es generationengerechter, wenn die junge Generation diese Finanzierungslast trägt – denn schließlich ist die Verlängerung der Lebensspanne ja kein neues Ereignis und auch die vorherigen Generationen haben die zusätzliche Lebenserwartung der jeweils älteren Generation über das Umlageverfahren mitfinanziert. Wie sieht es mit dem zweiten Grund für die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung aus: der schnellen Abfolge von Babyboom und Pillenknick? Ist es hier generationengerecht, wenn die Kinder der Babyboomgeneration die zusätzliche Finanzierungslast trägt? Oder sollte diese von der Babyboomgeneration selbst getragen werden, die es versäumt hat, genügend Kinder zu bekommen? Hat die Babyboomgeneration aber letztendlich nicht nur die logischen Schlussfolgerungen aus den immer besser ausgebauten Sozialsystemen gezogen?

Das Umlageverfahren bürdet einer Generation die Lasten der nächsten Generation auf, in der Hoffnung, dass die in Zukunft entstehenden neuen Lasten von der übernächsten Generation getragen werden. Es ist geschichtsabhängig. Ein sauber definiertes Konzept der Generationenabhängigkeit muss also eine Bilanz aller Vor- und Nachteile aufstellen, welche die Geschichte einer bestimmten Generation beschert, und darin die Gewinne und Kosten von Erfindungen, Kriegen, wirtschaftlichen und demographischen Krisen jeder einzelnen Generation nach dem Verursacherprinzip zurechnen. Das ist schlichtweg unmöglich. Das Konzept der Generationengerechtigkeit bleibt somit abstrakt – es lässt sich kaum auf ein sauber definiertes Konzept zurückführen (ein konzeptioneller Grund zur Skepsis) noch führt es zu konkreten Handlungsanweisungen für die Reformpolitik (ein pragmatischer Grund zur Skepsis).

Was tun? Denn natürlich müssen Gerechtigkeitsvorstellungen in einen Reformprozess eingehen. Es ist z.B. selbstverständlich, dass nicht eine Generation alle Lasten allein tragen kann und sollte. Das Konzept der Generationengerechtigkeit als Zielvorgabe hilft hier jedoch kaum weiter, es realisiert sich bestenfalls nur indirekt durch den politischen Prozess unserer parlamentarischen Demokratie.

Literatur:
Börsch-Supan, A.: Zum Konzept der Generationengerec htigkeit, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 2003.