FAQ zum Dublin-System
Was ist das Dublin-System?
Das Dublin-System zielt auf die Bestimmung des Mitgliedstaates der EU, der für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags (laut Gesetzestext "Antrag auf internationalen Schutz") zuständig ist. Auf diese Weise soll eine zügige materielle Prüfung aller gestellten Asylanträge gewährleisten werden. Das Dublin-System kommt zur Anwendung, wenn ein Asylantrag in einem Mitgliedstaat ("Dublin-Staat") gestellt wird. "Dublin-Staaten" sind die 27 EU-Staaten und vier assoziierte Staaten: Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz (das Vereinigte Königreich ist mit dem Vollzug des Brexit auch aus dem Dublin-System ausgeschieden).
Das Dublin-System besteht aus drei Rechtsakten der EU: Neben der Dublin-Verordnung, die die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Staates festlegt, sind die Dublin-Durchführungsverordnung und die EURODAC-Verordnung von zentraler Bedeutung. Die Dublin-Durchführungsverordnung enthält zusätzliche Vorschriften für die Umsetzung und Anwendung der Dublin-Verordnung. Die EURODAC-Verordnung regelt den Fingerabdruckabgleich von Asylsuchenden und Menschen ohne Aufenthaltsrecht, die über 14 Jahre alt sind, mittels des Fingerabdruck-Identifizierungssystems EURODAC. Dadurch sollen zeitgleiche oder aufeinanderfolgende Asylanträge in mehreren Dublin-Staaten verhindert werden.
Als "Dublin-Verfahren" wird das Verfahren zwischen zwei Dublin-Staaten zur Prüfung der Zuständigkeit unter Anwendung des Dublin-Systems bezeichnet.
Wie wird ermittelt, welches Land für die Prüfung eines Asylverfahrens zuständig ist?
Die Dublin-Verordnung legt verschiedene Kriterien fest, nach denen ein Dublin-Staat für die Prüfung eines bestimmten Asylantrags, der in einem der Dublin-Staaten gestellt wurde, zuständig ist. Hierbei werden die Kriterien in der Reihenfolge, in der sie in der Verordnung aufgelistet werden, geprüft. Sobald ein Grund zutrifft, dürfen alle darauffolgend aufgelisteten Gründe nicht mehr zur Anwendung kommen.
Zunächst ist zu prüfen, ob die schutzsuchende Person minderjährig ist. Vorrangige Kriterien sind dann das Kindeswohl und der Schutz der Familieneinheit. Sofern keine Verwandten ermittelt werden können, ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Asylantrag gestellt wurde, sofern dies dem Kindeswohl dient. Auch bei volljährigen Schutzsuchenden wird geprüft, ob sich in einem Mitgliedstaat Verwandte (v.a. der Kernfamilie) befinden und ob eine Familienzusammenführung erfolgen kann.
Sofern keine schützenswerten familiären Bindungen bestehen, bestimmt sich die Zuständigkeit nach dem sogenannten „Verursacherprinzip“. Hat also ein Mitgliedstaat der schutzsuchenden Person zuvor bereits einen Aufenthaltstitel oder ein Visum erteilt, ist dieser Staat später auch für das Asylverfahren zuständig.
Erst wenn keines der zuvor genannten Kriterien erfüllt ist, ist der Dublin-Staat zuständig, dessen Außengrenze die schutzsuchende Person aus einem Drittstaat kommend (und damit EU-Außengrenze) "illegal überschritten" hat.
Kann auch hiernach kein zuständiger Staat bestimmt werden, ist der Staat für das Asylverfahren zuständig, in dem der erste Asylantrag gestellt wurde.
Wie läuft ein Dublin-Verfahren ab?
Ein Dublin-Verfahren beginnt, sobald in einem Dublin-Staat erstmals ein Asylantrag gestellt wird. Hierbei geht es nicht um die förmliche Asylantragsstellung, sondern zunächst darum, dass die jeweilige Migrationsbehörde eines Staates (das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Falle von Deutschland) schriftlich darüber informiert wird, dass eine drittstaatsangehörige Person Asyl sucht. Ab Antragstellung muss der Aufenthaltsstaat innerhalb von drei Monaten dem Staat, der für die Prüfung des Asylantrags als zuständig erachtet wird, das Übernahmeersuchen mitteilen. Wird die Zuständigkeit eines Dublin-Staates auf der Grundlage von EURODAC-Daten festgestellt, muss der Aufenthaltsstaat das Übernahmeersuchen innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der entsprechenden EURODAC-Daten an den jeweiligen Dublin-Staat stellen.
Erhält ein Dublin-Staat ein Übernahmeersuchen, muss eine Antwort darauf innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt erfolgen. Antwortet der Dublin-Staat nicht auf ein Übernahmeersuchen, wird angenommen, dass er die Zuständigkeit für den Antrag übernimmt.
Gibt ein Dublin-Staat dem Übernahmeersuchen des Aufenthaltslands statt, muss die Überstellung der asylsuchenden Person an den zuständigen Dublin-Staat innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem das andere Land die Zuständigkeit übernommen hat, stattfinden. Bleibt eine Antwort durch den zuständigen Dublin-Staat auf das Übernahmeersuchen aus, entspricht dieser Zeitpunkt dem Tag des Fristablaufs.
Was passiert, wenn Asylsuchende in einem anderen Staat als dem Aufenthaltsland bereits einen Asylantrag gestellt haben?
Falls die asylsuchende Person bereits in einem anderen Dublin-Staat einen Asylantrag gestellt hat, wird der entsprechende Dublin-Staat um Wiederaufnahme ersucht. In diesem Fall gelten verkürzte Fristen für die Antwort durch den für zuständig erachteten Dublin-Staat. Stützt sich das Wiederaufnahmeersuchen auf EURODAC-Daten, hat der angefragte Dublin-Staat zwei Wochen Zeit. In allen anderen Fällen muss er innerhalb von einem Monat antworten. Auch hier gilt: Werden die Fristen nicht gewahrt, hat der entsprechende Dublin-Staat die Zuständigkeit übernommen und muss die asylsuchende Person wieder aufnehmen.
Welche Möglichkeiten hat ein Aufenthaltsstaat, wenn ein Dublin-Staat den Flüchtling nicht übernimmt?
Bei Ablehnung des Übernahmeersuchens durch einen Dublin-Staat ist der Aufenthaltsstaat zur Durchführung des Asylverfahrens verpflichtet. Diese Zuständigkeit erlischt im Falle einer ablehnenden Asylentscheidung erst durch die Ausreise der asylsuchenden Person oder wenn die betroffene Person für mehr als drei Monate das Hoheitsgebiet der Dublin-Staaten verlässt, ehe über den Antrag entschieden wurde.
Welche praktischen Schwierigkeiten zeigen sich bei Dublin-Verfahren?
Die größte Schwierigkeit besteht darin, dass die Zuständigkeit für die Prüfung von Asylanträgen nicht gleichmäßig auf die EU-Staaten verteilt ist. Länder, die an einer EU-Außengrenze liegen, sind theoretisch für einen Großteil der Asylverfahren zuständig. Entlastet werden die Länder an den Außengrenzen allerdings dadurch, dass die Überstellung von Asylbewerber/innen in das eigentlich zuständige Land, z.B. von Deutschland nach Griechenland, häufig schwierig ist.
Dürfen Flüchtlinge in jedes EU-Land überstellt werden?
Bei der Anwendung des Dublin-Systems sind die Grundrechte zu achten. Insbesondere besteht ein Überstellungsverbot bei Gefahr der Verletzung von Artikel 4 der Grundrechtecharta, der das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beinhaltet. Besteht die Gefahr einer solchen menschenrechtsverletzenden Behandlung von Asylsuchenden und Geflüchteten durch einen Dublin-Staat, dürfen Überstellungen in diese Länder nicht stattfinden, so dass einige Staaten faktisch aus dem Verteilungssystem für Asylsuchende ausscheiden.
Was bedeutet das "Selbsteintrittsrecht"?
Grundsätzlich besteht für alle Dublin-Staaten die uneingeschränkte Möglichkeit, die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylverfahrens an sich zu ziehen. Von diesem sogenannten Selbsteintrittsrecht kann beispielsweise Gebrauch gemacht werden, wenn die strikte Anwendung der Dublin-Kriterien zu einem aus grundrechtlichen oder humanitären Gründen unerwünschten Ergebnis führt. So konnte Deutschland beispielsweise im Herbst 2015 die Zuständigkeit für die Asylverfahren schutzsuchender Personen übernehmen, die vor den unzumutbaren Aufnahmebedingungen im Mitgliedstaat Ungarn geflohen waren.
Können sich Staaten gegen ihre Zuständigkeit zur Übernahme von Geflüchteten wehren?
Problematisch ist, dass kein Staat verpflichtet ist, seiner Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylverfahrens zuzustimmen. Zwar führt ein Schweigen als Reaktion auf ein Übernahmeersuchen zur automatischen Zustimmung. Lehnt ein Dublin-Staat ein Übernahmeersuchen jedoch innerhalb der gesetzten Frist ab, gibt es keine in der Praxis wirksamen Mechanismen, diesen Staat dazu zu bringen, seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens anzuerkennen, wenngleich er nach den Kriterien eindeutig zuständig wäre. Das Dublin-System beruht auf dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens und versagt daher, wenn die vorgesehene Kooperation der Mitgliedstaaten nicht funktioniert.
Warum werden Flüchtlinge nicht einfach zu gleichen Anteilen auf die EU-Staaten verteilt?
Länder wie Polen, Österreich, Slowakei, Ungarn und Tschechien lehnen die verpflichtende Verteilung von Asylsuchenden bislang ab. Auch lassen die diskutierten Verteilungsmodelle wie Quoten meist die Perspektive der Geflüchteten und deren Chancen, sich in einem Dublin-Staat ein neues Leben aufzubauen, außen vor.
Wie steht es um die viel diskutierte Reform des Dublin-Systems?
Im September 2020 hat die EU-Kommission ein neues Migrations- und Asylpaket vorgestellt, das die Ablösung der Dublin-Verordnung durch ein sog. Asyl- und Migrationsmanagement-System vorsieht. Das Paket fußt auf drei Säulen: Die erste regelt den Umgang mit Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, die zweite soll die Zahl der Asylanträge unter den Mitgliedstaaten gerecht verteilen, die dritte soll die Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern der Geflüchteten stärken. Gleichzeitig soll 'legale' Migration in die EU-Mitgliedstaaten für auf dem EU-Arbeitsmarkt benötige Arbeitskräfte erleichtert werden.
Allerdings übernimmt der Vorschlag für die Verteilung von Flüchtlingen die Kriterien der Dublin-Verordnung, wodurch sich in diesem Punkt de facto kaum etwas ändert. Ein Schwerpunkt des neuen Migrations- und Asylpakets liegt auf der Rückführung von Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Länder an den Außengrenzen wie Griechenland und Italien sollen durch Einrichtungen der EU und anderer Mitgliedstaaten bei den sich daraus ergebenden Aufgaben unterstützt werden.
Während Deutschland die vorgeschlagenen Regelungen bislang unterstützt, kritisieren die Mittelmeeranrainer-Staaten das Paket, da es aus ihrer Sicht weiterhin die Hauptverantwortung an die Außengrenzen verschiebt. Länder wie die sog. Visegrad-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechische Republik, Ungarn) und Österreich bemängeln wiederum, das Paket enthalte zu wenig Maßnahmen zur effektiven Verhinderung von Einreisen. Kürzlich haben sich in diesem Kontext Litauen und Polen für eine Legalisierung von illegalen Pushbacks an den Außengrenzen ausgesprochen. Eine solche Legalisierung würde – selbst bei einer Änderung der Rechtsgrundlagen im EU-Recht – gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und die internationalen Menschenrechtsverträge verstoßen.